Kovac & Liska 02 - In aller Unschuld
völlig überrascht an. »Was soll das?«
»Drehen Sie sich um, Mr. Scott.«
»Sind Sie noch ganz bei Trost?«
»Nein, Sir, bin ich nicht«, sagte Dempsey mit ausdrucksloser Stimme. »Drehen Sie sich um. Stellen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand.«
Dem Anwalt fing langsam an zu dämmern, dass er es ernst meinte. Angst blitzte in seinen Augen auf.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte er. »Ich habe Ihnen nichts getan.«
Dempsey hätte am liebsten gelacht, aber er tat es nicht. Dachte Kenny Scott tatsächlich, dass seine Tätigkeit als Anwalt für Karl Dahl keinen Einfluss auf das Leben anderer hatte?
»Drehen Sie sich um. Ich werde es nicht noch einmal sagen, Mr. Scott.«
Kenny Scott reagierte nicht. Er begriff nicht, was geschah.
Sein Kopf wurde zur Seite geschleudert, als der Polizist ausholte und ihm die Pistole übers Gesicht zog. Blut spritzte gegen die schmutzig graue Wand. Dempsey meinte, in Zeitlupe die einzelnen Tropfen fliegen zu sehen, wie sie durch die Bewegung verformt wurden und zerstoben, wenn sie auf die Wand auftrafen.
Die Geräusche drangen mit leichter Verzögerung zu ihm vor, dann kamen sie wie ein merkwürdiger Spezialeffekt im Film in Deckung mit dem Bild, das Krachen, mit dem die Waffe auf dem Wangenknochen des Anwalts auftraf, dann dessen Schmerzensschrei und der Aufprall seines Kopfes auf der Wand.
Dempsey hielt Scott mit der Waffe in Schach, holte die Handschellen aus seiner linken Jackentasche und fesselte ihm die Hände auf dem Rücken.
»Warum tun Sie das?«
Jetzt konnte Dempsey die Angst in seiner Stimme hören. Scott hatte wohl begriffen, dass das Ganze nicht gut für ihn ausgehen würde. Möglicherweise stellte er sich sogar vor, was Stan Dempsey ihm antun könnte.
Dempsey verspürte plötzlich ein erregendes Gefühl von Macht. Das also hatte Karl Dahl in dem Moment empfunden, als ihm seine Opfer wehrlos ausgeliefert waren.
»Die Treppe runter«, sagte er, zog Scott von der Wand weg und gab ihm einen Schubs nach rechts, zur Kellertreppe. An der Stelle, wo Scotts Gesicht gewesen war, rann Blut die Wand herunter. Seine Nase blutete, ebenso die klaffende Wunde an seiner
Wange, die das Visier der 22 er gerissen hatte.
Der Anwalt begann zu flennen. »Bitte tun Sie es nicht.«
Es wurde ihm offenbar klar, dass er sterben würde und dass er es verdiente, dachte Stan.
»Die Treppe runter.«
Dempsey versetzte ihm einen leichten Stoß. Scott lehnte seine Schulter gegen den Türrahmen, um den Weg zu versperren, doch sein Peiniger packte ihn am Arm, zog ihn zur Seite, schubste ihn weiter.
Der Anwalt stolperte, drehte sich zur Seite, um sich an der Wand abzustützen.
»Fühlen Sie sich hilflos?«, fragte Dempsey. »Was meinen Sie, hat sich Marlene Haas vielleicht genauso gefühlt, als Ihr Mandant sie gefoltert hat? Und die beiden Kinder, als er sie in den Keller geführt hat?«
»Mein Gott«, sagte Scott. »Das können Sie doch mir nicht zur Last legen. Ich bin nur der Pflichtverteidiger von Dahl! Ich kann mir nicht aussuchen, wen ich verteidige. Glauben Sie etwa, dass ich Karl Dahl verteidigen will?«
»Sie versuchen, ihn freizubekommen«, sagte Stan und stieß ihn weiter die Treppe hinunter.
»Das muss ich.«
»Für euch ist das alles doch nur ein Spiel. Sie wissen, was Dahl getan hat, und doch versuchen Sie, ihn mithilfe irgendwelcher juristischer Kniffe herauszuboxen.«
»Die Regeln gibt es aus bestimmten Gründen …«
»Damit Sie sie nach Belieben auslegen können und dieses Schwein mit dem, was er den Leuten angetan hat, davonkommt? Damit er, wenn er wieder frei ist, gleich die nächste Familie umbringen kann?«
»Angeklagte gelten so lange als unschuldig wie …«
»Unschuldig?«
Dempsey spürte den Zorn wie eine Feuersäule in sich aufsteigen. »Er hat diese Frau abgeschlachtet. Er hat diese beiden Kinder gequält, und dann hat er sie aufgehängt. Ich war da. Ich hab sie gesehen. Ich hab ihren Tod gerochen. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie das ist, Herr Anwalt? Waren Sie jemals an einem Mordschauplatz?«
Scott antwortete nicht. Er hatte natürlich keine Ahnung, wie es war, sich an einem Ort aufzuhalten, an dem jemand eines gewaltsamen Todes gestorben war. Er kannte sie nicht, diese Ahnung des Bösen, das in der Luft hing und sich mit dem letzten Zittern des Entsetzens vermischte. Er wusste nicht, wie es war, wenn man glaubte, die Schreie der Opfer zu hören und wie sie ihre qualvollen letzten Atemzüge taten.
»Sie suchen nach irgendwelchen
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