Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
gearbeitet. Nur meine Schwester
Camila hat ebenfalls den Sprung aus der
Población
heraus geschafft und lebt mit ihrem Mann in Santiago. Und obwohl ich einen Job habe, der mir eine eigene kleine Wohnung sichert,
fühle ich mich oft ohnmächtig. Ich kann nicht so sein, wie ich es gerne wäre. Ich habe keine Frau und keine Schar Kinder, den Beweis der Normalität, auf den sich selbst Arm und
Reich einigen können. Ich kann nicht. Denn ich kann schweigen, aber ich will nicht lügen.
Der Blick, mit dem mich Daniel Romero aus seinen grünen Augen bedenkt, scheint mir die Wahrheit aus dem Leib zu prügeln. Aufmerksam, wach, und nun, da ich ihn stumm anstarre, taucht
eine Spur Verwirrung darin auf. Mühsam nehme ich mich zusammen, beherrsche mich, um mich nicht nach meinen Kollegen umzusehen. Haben sie etwas bemerkt? Ich spüre die Angst in meinem
Nacken sitzen, vertraut. Ein bitterer Geschmack auf meiner Zunge, eine Erinnerung an Kindertage.
Nicht hier
.
Ich überprüfe seine Personalien sowie seine Adresse und erkläre ihm die formalen Hintergründe, die zum Aufenthalt seines Containers auf dem Zollgelände führen. Ich
meide seinen Blick. Dafür fällt mir der hellbraune Leberfleck auf, der neben seinem rechten Mundwinkel sitzt. Meine Fingerspitzen kribbeln. Während meiner Erläuterungen beugt er
sich nach vorne, lehnt sich über meinen Schreibtisch. Ich kann ihn riechen, es ist ein würziger Duft. Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich weiche in meinem Stuhl zurück,
versuche, so viel Distanz zwischen uns zu bringen, wie möglich ist, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
„Bitte.“ Der eindringliche Ton, in dem er spricht, zwingt mich nun doch, ihn offen anzusehen. „Es handelt sich um Lebensmittel, die den Richtlinien entsprechen, die im Internet
zu finden sind.“
„Wir werden den Container öffnen und uns selbst ein Bild verschaffen“, erwidere ich förmlich. Ich blättere durch die Papiere, als würde ich nach einer Information
suchen. Dabei könnte ein Obduktionsbericht auf Latein vor mir liegen, ich würde es in diesem Moment kaum bemerken.
„Es kann auch sein, dass wir den Container begasen müssen, denn laut den Papieren ist das in Hamburg nicht erfolgt, oder?“
Romero, wie ich ihn in Gedanken nenne, rutscht auf seinem Stuhl umher: „Nein, man sagte mir, das wäre nicht notwendig.“
Nun kann ich Ärger in seiner Stimme ausmachen, und tatsächlich, er wirkt etwas ungehalten. Mein Blick bleibt zu lange an seinen Augen hängen; gerade die Zeitspanne, die die
Gänsehaut braucht, um einmal über meinen Körper zu kriechen.
„Kann ich dabei sein, wenn Sie den Container öffnen?“
Ich überlege kurz, dann nicke ich. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Besitzer bei der Untersuchung anwesend ist.
„Wann?“
Fordernd sieht er mich an, und ich kann mir nicht helfen, mich an andere Gespräche erinnert zu fühlen. Ein heiseres Flüstern in einem Hauseingang, drängend. Schnelle
Berührungen in einem schäbigen Zimmer, der Geruch von gebratenen Zwiebeln in der Luft. Es gibt Kneipen, in denen man sich treffen kann, eine Handvoll Clubs, die ich aber nur selten
besuche. Ich habe mich arrangiert. Ich habe Claudio, der mich manchmal kratzt, wenn es mich zu sehr juckt. Ich weiß, dass es auch anders geht. Ich sehe die Gesichter der Männer in den
Clubs, glänzend vor Schweiß, im Rausch von Testosteron, glücklich. Zwei Männer, die miteinander die Straße hinunter gehen, Hand in Hand, sehe ich hingegen nie.
Wieder brauche ich zu lange für meine Antwort, denn Romeros Blick und seine Stimme schicken meine Gedanken auf Reisen und lassen meine Fantasie Amok laufen. Er und ich, allein in diesem
Büro, alle Lichter erloschen, nur noch die Geräusche des Hafens. Dies und sein Geruch. Wieder zieht sich mein Magen zusammen. Es ist ein nagendes Gefühl. Wie Hunger. Hunger, drei
Tage alt, in Schach gehalten vom bitteren Matetee und ein wenig Maismehl, in Wasser eingeweicht. Ich schlucke trocken.
„Heute ist Feiertag. Wir werden den Container frühestens Montag öffnen, wohlmöglich aber auch erst Mitte der Woche.“
Romero schüttelt den Kopf. „Bitte, das geht nicht.“ Er zögert, dann sucht er meinen Blick. Weiß er, was er damit anrichtet? Manipulatives Arschloch. „Ich kann
es mir nicht leisten, den Container weitere drei bis fünf Tage herumstehen zu lassen.“
Ich ziehe eine Augenbraue empor.
Wer sich einen Umzugscontainer aus Deutschland leisten kann, für
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