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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Häusern wohnen nur Leute, die es zu was gebracht haben im Leben.«
    Eine neue Wohnung, eine neue Schule, ein neues Leben. Herbert hat früher nie etwas hören wollen von den Umzugsplänen. Aber jetzt kommt ihm das sehr verlockend vor. Niemand wird ihn kennen, niemand wird ihn je anders als mit dieser Brille gesehen haben. Niemand wird wissen, dass er ein Feigling ist. Er muss nur gleich anders auftreten. Sich stark zeigen.
    »Ich würde am liebsten schon morgen umziehen«, sagt er.
    Der Vater lacht. »Ein bisschen müssen wir schon noch arbeiten und sparen. Aber wir schaffen das schon. Wir haben es uns damals geschworen, als wir hier eingezogen sind, dass wir in dieser Wohnung nicht alt werden.«
    »Dafür bin ich ja auch arbeiten gegangen«, sagt die Mutter. »Damit wir was auf die Seite legen können.«
    Der Vater wischt sich mit dem Handrücken die Kaffeespuren von der Oberlippe. »So wird es auch weitergehen. Arbeiten müssen wir beide. Und an Urlaub ist nicht zu denken in den nächsten Jahren, wenn wir es jetzt wirklich machen. Aber das ist es doch wert.«
    »Ja, das ist es wert.«
    Herbert hört nicht mehr hin. Er sieht einen Jungen neben einem großen, weißen, sauberen Haus stehen und geht auf ihn zu. Ich bin der Herbert, sagt er. Wir sind gerade erst eingezogen. Wie sind denn die Leute hier? Ist hier was los?
    Der Junge wird ihm alles zeigen. Sie werden zusammen die Gegend erkunden, mit den Fahrrädern herumfahren, lange Gespräche führen. Und irgendwann wird er dem Jungen sein Messer zeigen. Das beste Messer der Welt, wird er sagen. Was wir schon alles zusammen erlebt haben.
    Der Junge wird neugierig sein und fragen: Was denn?
    Später, wird Herbert antworten. Wenn ich erst weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Dann erzähl ich es dir.
    Am Samstagnachmittag werden sie zusammen ins Kino gehen und sich einen Western anschauen. Sonntags werden sie zusammen Radtouren machen. Die anderen Jungen im Haus werden mitwollen, aber sein neuer Freund wird sagen: Nein, ich will lieber mit dem Herbert allein was machen. Das ist ein Kerl, sage ich euch.
    Die Mutter reißt Herbert aus seinen Gedanken. »Gib mir mal deine Tasse rüber.« Sie räumt den Tisch ab. »Und du meinst wirklich, dass das mit dem Bausparvertrag reicht?«, fragt sie.
    Der Vater faltet seine Zeitung auseinander. »Wir kriegen ja einen Kredit von der Bank. Mehr als jetzt müssen wir sicher bezahlen im Monat. Aber wir werden das schaffen. Herbert, du gehst nachher runter und rufst Tante Friedel an. Sie soll doch mal vorbeikommen und ihre Unterlagen mitbringen. Alles, was sie von ihrer neuen Wohnung hat. Den Bausparvertrag und die Papiere von der Bank.«
    Herbert nickt.
    »Du kannst ja sagen, sie sollen zum Kaffeetrinken kommen, um vier Uhr«, sagt die Mutter. »Aber vor elf kannst du nicht telefonieren, Friedel und Egon schlafen sonntags lang.«
    Herbert nickt wieder. Der Freund ist auch dabei, wenn Herbert das erste Mal in die neue Schule geht. Er ist nämlich in derselben Klasse. Das ist der Herbert, sagt er. Ein Neuer. Er ist mein Freund. Und ein prima Kerl. Sie sitzen natürlich nebeneinander. Und keiner sagt: Ratte mit Brille. Es gibt keine Ratte mit Brille. Die haben Herbert ja nie anders gesehen. Für die sieht er ganz normal aus. Die wissen auch nichts von den Knickerbockern. Und nichts vom Vater, der Herbert vor allen Kindern eine runterhaut, nur weil er nicht pünktlich raufgekommen ist. Oder weil er mit den anderen Ball gespielt hat und der Ball auf ein Auto geprallt ist. Oder weil er Abfälle danebengeschüttet hat beim Mülleimerausleeren. Oder weil er getrödelt hat beim Einkaufen. Oder weil ihm vor dem Haus die Bierflasche runtergefallen ist.
    »Herbert«, sagt die Mutter. »Geh den Mülleimer ausleeren. Ich muss mich beeilen. Ich will noch einen Kuchen backen, wenn Friedel und Egon kommen.«
    Herbert nickt und steht auf. »Hoffentlich klappt das bald mit der neuen Wohnung.«

24.
    Frau Kronawitter steht am Grab. Theo und Ludwig. Ludwig und Theo. Sie wundert sich, dass sie jetzt an beide gleichzeitig denken kann. Es macht ihr nichts mehr aus, es ist ihr nicht mehr peinlich.
    Ob Ludwig Bescheid wusste? Sie hat es ihm nicht erzählt und er hat nicht gefragt. Aber es hat viele andere gegeben, die davon gewusst haben.
    Als er geboren wurde, haben alle nachgerechnet, das ist sicher. Keine Frau trägt zwanzig Monate. Sie hat die Blicke gesehen und den falschen Ton rausgehört bei den Glückwünschen.
    »Ein Sohn. Da wird der Theo sich

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