Still und starr ruht der Tod
Prolog
Es gibt Momente, in denen man einfach tut, was getan werden muss, in denen das Leben einem die Regieanweisung ganz deutlich gibt. Und so kam es, dass die drei im Wagen saßen und vergeblich versuchten, dem Tod, den ihnen der kalte oberfränkische Winter bringen würde, zu entkommen. Endlich keine Diskussionen mehr! Und getrauert hatte ich schon vorher genug.
Ich habe nichts anderes gemacht, als eine geniale Chance beim Schopf zu packen. Den Rest hat der Wagen gemacht. Die elektronische Türverriegelung, um genau zu sein. Du steigst aus, wirfst die Tür hinter dir zu, machst einmal ›klick‹, und man kriegt die Türen von innen nicht mehr auf, so sehr man auch rüttelt, an die Fenster trommelt und kreischt. Selbst die Fenster lassen sich nur elektronisch öffnen, daher ist hier genauso wenig ein Ausstieg zu erhoffen – nichts zu machen. Sobald die Karre steht und der Motor aus ist, schaut’s mau aus. Ich sah Frau 1 rumschreien. Der Luftschwall aus ihrem Mund ließ die Scheiben von innen anlaufen. Frau 2 wandte sich dem Mann zu. Sie schlüpften in ihre üblichen Rollen. Füllten sie voll aus. Darin waren sie ganz groß.
Ich stapfte rasch davon. Der Hang war steil, eine gewundene Straße quer durch Fichten, die den Frankenwald im Winter noch finsterer machten, da half selbst der Schnee nichts. Im weißen Gestöber streckte ich meine Hand nach vorn, erkannte sie kaum noch. Weit bergabwärts konnte ich das gelbe Blinken des Schneepfluges sehen. Es würde eine Weile dauern, bis er die Serpentinen von Förtschendorf auf die Höhe heraufgebrummt kam. Die Flocken blieben in meinen Wimpern kleben. Ich zog die Mütze tief ins Gesicht, ignorierte das stahlharte Hämmern meines Herzens. Entschlossen trat ich von der Straße ins Unterholz. Die Herrschaften im Wagen würden noch ein paar Minuten leben.
Das sind Momente, in denen du dir denkst, du könntest noch alles rückgängig machen. Nicht wie eine Hochzeit, eine Schwangerschaft oder eine Führerscheinprüfung. Wenn’s damit losgeht, steckst du schon mittendrin im Schlamassel. Nein, ich weiß, ich hätte zurückgehen können, mich hinters Steuer klemmen und losfahren. Nichts wäre passiert. Aber die Chance, diese einmalige Chance … ich hatte sie alle beisammen: den Mann, Frau 1 und Frau 2. Keine Zeugen. Keine Warnblinkanlage, kein Abblendlicht, nicht mal Standlicht. Na gut, vielleicht kamen sie selbst auf die Idee, es anzuschalten. Wahrscheinlich blieb ihnen dazu keine Zeit, weil sie ja immer erst alles ausdiskutieren mussten. Und weil sie sich dabei meist übel in die Haare gerieten.
Niemand wusste, dass wir zusammen hier heraufgefahren waren. Dass wir eigentlich in Lauenstein Pralinen besorgen wollten, erst degustieren, dann kaufen. Ab Fabrik. Die jährliche Geschenkejagd für Weihnachten. Dass wir unerwarteterweise beinahe in den Verwehungen stecken geblieben, in Ludwigsstadt umgekehrt und zurückgefahren waren. Dass der spontane Plan vorsah, in Kronach in der Kaiserhofbräu einzukehren. Keiner war eingeweiht, niemand hatte uns zusammen gesehen.
Ich würde nichts rückgängig machen. Ich nicht. Ich ließ nicht alles mit mir anstellen. Irgendwann war mal Schluss. Auch ich hatte meinen Stolz.
Der Sturm schüttelte die Fichtenwipfel. Minus 15 Grad. Sturmtief Tanja. Der Wagen, so sah ich, als ich mich zwischen den massiven Stämmen ein letztes Mal umdrehte, war schon bis zu den Scheinwerfern zugeweht.
Ich schlitterte durch den Tiefschnee den Berg hinab. Der Ort unten im Tal lag an der Bahnlinie, auf der die ICEs von Berlin nach München durch die Berglandschaft rauschten. Ich würde irgendeinen Bummelzug nehmen und heimfahren. Niemand würde mich erkennen. Ich würde warten, ob jemand mit Mitleid im Blick mir die traurige Nachricht überbrachte. Wobei ich bezweifle, dass ich trauern würde. Hatte ich doch längst. Irgendwie war das alles jetzt einfach abgehakt.
Dienstag, 4.12.
1
Simone staunte nicht schlecht. So hatte sie Bamberg gar nicht in Erinnerung. So verschneit. Man hätte mit Skiern durch die Innenstadt gleiten können. Das hatte sie noch nie erlebt.
Aber sie war seit Jahren weg. Genauer gesagt, seit gut 20 Jahren. Seit der Magisterprüfung. Es hatte sie in wärmere Gefilde gezogen. Sie liebte die französische Sprache und zog nach Aix-en-Provence. Verliebte sich, wurde schwanger, heiratete, durchlebte 20 Jahre voller Hochs und Tiefs. Ein Durchschnittsleben, denn schließlich ging es allen so. Nur das Ende des knappen
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