Kreuzdame - Köln Krimi
einschlagen wollte, etwas, das an seiner Seite nicht möglich wäre. Irgendwann war auch Katharina gegangen, Klaus’ zweite Frau. War der Spuk nun gebannt, wie meine Großmutter zu sagen pflegte? Jedes Mal, wenn ich mir in der oberen Etage unseres Hauses an der Dachschräge den Kopf gestoßen und mich unmittelbar danach mit dem scharfen Küchenmesser meiner Schwiegermutter geschnitten hatte, wartete ich sehnsüchtig auf das dritte Unglück, damit ich wieder sicher meines Weges gehen konnte.
»Gulaschsuppe«, hatte ich geantwortet auf Martins einzige Frage an jenem jungen Morgen, als der Himmel noch klar gewesen war und ich nichts gespürt hatte von den Dingen, die in den Startlöchern hockten, um unser Leben zu verändern. »Gulaschsuppe mit Röggelchen.«
Seitdem die Kinder aus dem Haus waren, frühstückten wir im Esszimmer, dem Raum, der früher erst zum Mittagessen genutzt worden war. Mittlerweile hatte ich den rechteckigen Küchentisch, um den sich die Familie jahrelang jeden Morgen versammelt hatte, dicht an die Wand gerückt und mit Blumen und Kerzen geschmückt. Kaum vorstellbar, dass wir jemals zu sechst in der Küche Platz gefunden haben sollten.
Martin hatte kurz den Kopf gehoben, irritiert über seinen Brillenrand geblickt, um gleich danach ohne Kommentar wieder zu den Zeitungsberichten zurückzukehren. Allerdings war er nur wenig später, sozusagen beim ersten Bissen ins Honigbrötchen, zur Klinik beordert worden, »ein Notfall«, hatte er erklärt, war aufgestanden, zur Garderobe gegangen und hatte seinen Mantel vom Haken genommen.
»Anderswo geht es den Medizinern besser«, hatte er gemurmelt, als er den Schal umband. »Wir haben kaum noch Zeit für die Patienten, sind bis an unsere Grenzen belastet, und trotzdem zeichnen die Medien so ein mieses Bild von uns. Der Facharzt um die Ecke wird bald Vergangenheit sein, und wenn demnächst zigtausend Hausärzte in den Ruhestand treten und die nachfolgenden Medizinabsolventen entweder ins Ausland gehen oder Berufe fern der ärztlichen Praxis ergreifen, dann kann man sich ausrechnen, wie es alsbald um die medizinische Betreuung der Menschen in unserem Lande bestellt sein wird.«
Mir hatte schon eine Erwiderung auf der Zunge gelegen, eine Passage aus dem Magazin des »Kölner Stadt-Anzeigers«, dass es bald eine vernetzte Medizin geben würde, die das Fachwissen zusammenführen und den Privathaushalt zum Gesundheitsstandort machen könnte. Außerdem sollten ein frohes Gemüt, Ruhe und maßvoll gefüllte Tage völlig ausreichen, um glücklich alt zu werden und dabei gesund zu bleiben, wie etwa meine Tante Guste, die sechsundneunzig Jahre geworden war mit eben dieser Einstellung, von der ich mich mittlerweile meilenweit entfernt hatte, vor allem seit sich mein Leben nicht mehr in Pflichten und Aufgaben erschöpfte wie früher, wo ich, ohne Gelegenheiten zum Nachdenken, getan hatte, was zu tun gewesen war, geputzt und aufgeräumt hatte und mich so ernsthaft um Garten und Haushalt gekümmert hatte, als ob dies eine Kunstrichtung gewesen wäre.
Jetzt dümpelte ich manchmal bis zum Nachmittag von einem Sessel zum nächsten. Natürlich hätte ich mich beschäftigen können, zum Beispiel mit fremden Sprachen, wie früher, mit irgendeinem Hochschulstudium oder als Grüne Dame, womöglich in jenem Krankenhaus, in dem mein Mann als Oberarzt tätig war. Ich könnte die Malklasse auf der Hohe Straße von Professor Knabe für angehende Künstler ab vierzig belegen (um mich später von Charlotte wegen meiner Talentlosigkeit auslachen zu lassen) oder unentgeltlich in der Kindertagesstätte am Moosweg Tränen trocknen, vorlesen, Zank schlichten und prügelnde Knaben zum Einlenken bewegen, was Martin immer wieder vorschlug.
Wohin war das junge Mädchen verschwunden, jenes fröhliche Geschöpf, das ich gewesen war, damals in unserer Wohnung in der Sechzigstraße, über dem Elektroladen meiner Eltern, wo ich lachend durch die Räume getanzt war, auf einem Bein, schneller, immer schneller, das Zimmer wirbelte herum, die Wand war ein Kreisel, der Fußboden lief mit, ich konnte fliegen. Jetzt gab es nicht mehr viel zu lachen, und getanzt hatte ich schon lange nicht mehr, vor allem nicht allein. Ich fühlte mich wie in der Warteschleife, irgendeine Außergewöhnlichkeit herbeisehnend, die an meinem Leben vorbeikäme und den Docht der Begeisterung neu entflammte.
»Außergewöhnlichkeit?«, hatte meine Schwester Isabella, die als erfolgreiche Anwältin von einem Termin zum
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