Kreuzstein
So sieht es zumindest heute aus. In Wirklichkeit jedoch lag das Gebirge, als der Vorläufer des Rheins in Richtung Nordsee floss, fast auf Meeresspiegelniveau. Vor mehr als einer Million Jahre begann eine langsame Hebung der gesamten Region zwischen nördlichem Oberrheingraben und dem Niederrhein. Nur weil die Erosionskraft des Flusses es schaffte, mit der Hebung Schritt zu halten, entstand kein gewaltiger See im Oberrheingraben. Die einmal festgelegte Rinne wurde immer in der notwendigen Höhe über dem Meeresspiegel offen gehalten. Während der Eiszeiten, als wenig Wasser in den Flüssen zur Verfügung stand, wurde der Spieß umgedreht. Der Fluss schnitt sich nicht tiefer ein, sondern im Gegenteil. Hier im Mittelrheintal wurden mehrere Meter Sand und Kies im Flussbett abgelagert, die Rinne also wieder zum Teil aufgefüllt. Aber als in der anschließenden Warmzeit wieder ein Überangebot an Wasser vorhanden war, schnitt sich der Fluss erneut in die Tiefe. Das ist über mindestens 800 000 Jahre mehrfach passiert, weil es mehrere Vereisungsphasen gab. Deshalb haben wir Reste der Terrassen mit ihren Kiesen ganz oben am Rand zur Steilkante liegen, das ist die Hauptterrasse, manchmal in der Mitte der Steilhänge, das ist die Mittelterrasse, und schließlich ganz jung die Niederterrasse auf dem tiefsten Niveau.
Frage: Warum finden wir überhaupt noch so viel Kies und Sand hier bei Arienheller aus der Zeit, zu der die Mittelterrasse gehört?«
Allenstein schaute fragend in die Runde. Als keine Reaktion von der Gruppe kam, deutete er auf die gegenüberliegende Seite der Kiesgrube.
»Sehen Sie dort. Zwischen der Kiesgrube und dem Rhein steht eine Felswand. Das war eine Insel mitten im Rhein. Die Sande und Kiese aus der Mittelterrassenzeit sind im östlichen Teil der Insel erhalten geblieben, während sich westlich der Insel das Hauptflussbett weiter in die Tiefe geschnitten hat.«
Schließlich hielt Allenstein noch einmal den Backenzahn in die Höhe, lobte Carla für ihre Beobachtungsgabe und erklärte den Studenten ausführlich, wie wichtig die Bedeutung solcher Fundstücke sei.
»Wo genau haben Sie ihn eigentlich gefunden?«
Carla errötete leicht. »Dort drüben, an der frisch abgebrochenen Wand.«
»Bitte, treten Sie nicht zu dicht an die Wand heran«, rief Allenstein den 25 angehenden Geologen zu, als sie gemeinsam zum Fundort gingen.
»Die Wände einer Grube müssen grundsätzlich als instabil betrachtet werden, und diese hier ist sogar erst vor kurzem abgebrochen. Sie erkennen das an den frischen Abbruchstellen, die noch feucht sind und …«, er zeigte vor sich auf den Boden, »an dem Schutt vor Ihren Füßen.«
Er deutete auf dunklere Flächen zwischen Grubenwand und ihrem Standort.
»Um das Risiko zu minimieren, nimmt man Gesteinsproben immer von unten weg. Es kommt sowieso alles von oben. Anschließend tritt man wieder weit genug zurück, um einen größeren Sicherheitsabstand zu haben. Sie haben das vermutlich schon mehrfach gehört, aber man kann es nicht oft genug sagen.«
»Und wenn in der Wand etwas ganz Wichtiges steckt, ein Knochen oder ein seltener Stein?«, fragte Carla. Erneut glaubte Allenstein einen provozierenden Unterton in ihrer Stimme zu hören.
»Dann muss man das Risiko abschätzen. Wenn man allein ist, ist es besonders riskant. Zu zweit sollte einer immer Abstand halten, damit er zur Not Hilfe holen kann. Aber, und das dürfte ich jetzt gar nicht erzählen, wir sind natürlich von Geburt aus immer etwas leichtsinnig.« Allenstein grinste ein wenig überheblich in die Runde. »Warum fragen Sie, haben Sie etwas gesehen?«
»Da oben, in der Lage mit den großen Kieselsteinen zwischen den beiden großen Wackersteinen.«
»Gerölle und Blöcke heißen die Fachausdrücke. Kiesel- und Wackersteine gibt es nur im Märchen.«
Die Gruppe lachte.
»Okay!« Carla machte eine kurze Pause. Dann hob sie betont ihren Arm. »Aber dort oben ist zumindest etwas, was vielleicht mit dem anderen Fundstück zusammenpasst.«
»Sie meinen da oben, etwa drei Meter höher?«
»Ja, genau.«
Allenstein schickte die Gruppe einige Schritte zurück und schätzte die beste Möglichkeit ab, an das faustgroße Geröll zu kommen, das zwischen zwei großen Gesteinsblöcken eingeklemmt war.
»Direkt werde ich es nicht erreichen. Aber wenn ich es schaffe, den rechten Block herauszuhebeln, rutscht das kleine Stück sicher nach«, überlegte er laut.
Er zögerte nicht lange und kletterte so weit wie möglich
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