Kreuzstein
Entstehung und Gewinnung von Materialien, die von jedem in großen Mengen gebraucht werden, wie Ton, Sand und Kies oder Hartgesteine für Schotter und Form- und Ornamentsteine. Er wollte vor allem deutlich machen, dass es irgendwann zu einem großen Engpass in der Versorgung kommen würde, wenn sich weiterhin alle Welt gegen weitere Steinbrüche und Rohstoffgewinnung sträubte. Die Verlagerung ins Ausland verschob das Problem seiner Meinung nach lediglich und trieb vor allem die Kosten ins Unermessliche.
Dieses Mal hatte das Wetter mitgespielt. Es war ein ungewöhnlich warmer Spätherbsttag, der die landschaftlich reizvolle Stimmung des Mittelrheintales noch einmal besonders hervorhob. An den Steilhängen betonten die schräg einfallenden Sonnenstrahlen die warmen Herbstfarben der Laubbäume. Erntehelfer mühten sich an den unteren Hangpartien, die letzten Trauben der kleinen Weinparzellen noch vor dem ersten Kälteeinbruch zu ernten.
Allenstein hatte sich, abgesehen von den obligatorischen Bergstiefeln, vorausschauend sehr luftig angezogen. Er trug ein weites kurzärmliges Hemd und eine leichte, aber stabile Geländehose, alles sandfarben. Sein Cowboy-Hut wirkte vielleicht ein wenig albern. Aber das war ein Spleen von ihm, noch aus seiner Jugend, und gegen die tief stehende Sonne half er auch. Außerdem, davon war er überzeugt, wurde der Spott, den es immer über Professoren gab, so auf eine überschaubare Größe reduziert. Und es brauchte auch niemand über seine etwas zu sehr abstehenden Ohren zu tuscheln, weil er gleich freimütig erklärte, er bräuchte sie als Auflagefläche, der Hut sei etwas zu groß. Auf die Idee, dass er damit andere erst auf den angeblichen Makel aufmerksam machte, kam er gar nicht.
Arienheller war der letzte Aufschluss der Tagesexkursion, nach Tongruben und Basaltsteinbrüchen im Westerwald und einem Grauwacken-Steinbruch im Bergischen Land. Die Kiesgrube zum Schluss war häufig der Höhepunkt, weil durch den Abbau jedes Jahr eine neue Wand angeschnitten worden war und es regelmäßig etwas Neues in den lockeren Sedimenten zu entdecken gab.
Die Teilnehmerzahl war eigentlich zu groß für eine Exkursion. Allenstein hatte deshalb mehrere Gruppen bilden lassen, die die Geröllhaufen absuchen sollten. Er begann ebenfalls in einem Schuttfächer zu kratzen, wurde jedoch durch eine Studentin aus dem dritten Semester gleich wieder unterbrochen. Er hatte sie bereits aus den Augenwinkeln auf sich zukommen sehen. Es war eine aus den jüngeren Semestern, die ihm schon einige Male aufgefallen war. Ihre Ausrüstung und Kleidung waren professionell und bereits länger im Gebrauch. Das ließ vermuten, dass sie schon vor ihrem Studium Kontakt zum Gelände oder vielleicht sogar zur Geologie gehabt hatte.
»Ist das etwas Besonderes?« Allenstein stellte fest, dass sie ihn mit einem leicht provozierenden Blick bedachte, als er das Stück entgegennahm. Es war mit Algenresten und Schlamm überzogen.
»Das kann man so nicht sagen. Sie müssen die Gesteine erst aufschlagen, damit Sie sie bestimmen können.« Kurz suchte Allenstein das vermeintliche Gestein mit der Lupe ab.
»Es gibt fast immer eine Kruste oder einen Überzug, den man entfernen muss. Aber Sie haben es vielleicht schon gemerkt, das Teil ist viel zu leicht für ein Gestein.«
»Ja. Ist es dann vielleicht gar kein Gestein, sondern ein Stück Müll aus dem Rhein?«
»Das werden wir sehen. Wir müssen aufpassen, vielleicht ist es ja ein Knochenrest.«
»Sie machen es aber spannend.«
»Genau das ist meine Absicht.«
Allenstein hatte schon auf den ersten Blick erkannt, dass es sich bei dem Fundstück um den Backenzahn eines größeren Säugetiers handeln musste. Er rief die Gruppe zusammen, baute sich auf einem kleinen Sandhaufen auf und hielt den Fund demonstrativ in die Höhe.
»Sie sehen, wir finden jedes Jahr etwas Besonderes. Diesen Fund hier machte …« Suchend blickte er sich nach der Studentin um. »Wie heißen Sie?«
»Carla, Carla Winter.«
»Diesen Fund haben wir Carla Winter zu verdanken. Es ist ein sehr interessantes Stück, ein Backenzahn von einem größeren Säugetier. Wir werden ihn unserem Kollegen aus der Paläontologie übergeben. So, und jetzt einige Grundlagen zum letzten Standort hier in der Kiesgrube.«
Allenstein musterte seine Studenten und rückte seinen Cowboy-Hut zurecht, bevor er fortfuhr:
»Der Rhein hat sich im Laufe der letzten Million Jahre tief in das Rheinische Schiefergebirge eingegraben.
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