Kreuzstein
bis an den rechten Block heran, hakte mit der Hammerspitze hinter die vordere Kante und drückte den Stiel nach oben. Langsam setzte sich der Block in Bewegung. Nach wenigen Zentimetern zog ihn das Übergewicht in die Tiefe.
»Achtung! Er kommt!«
Mit Schwung rauschte der Block über den Kiesfächer und kam vor den Füßen der Exkursionsteilnehmer zusammen mit kleineren Kiesen zum Stehen. Begeistert klatschten die Studenten Beifall.
»Und jetzt den kleinen Brocken«, riefen sie aufgeregt.
Henno brauchte nur noch den Arm auszustrecken und mit dem Hammer dem Fundstück einen kleinen Schubs zu geben. Er kullerte hüpfend in die Tiefe. Carla sprang ihm entgegen und hob es auf.
»Achtung!«, brüllte plötzlich jemand.
Der Schrei kam von Allenstein.
Dann ging alles ganz schnell.
Mit einem weiten Sprung versuchte der Fünfzigjährige Abstand von der Wand zu bekommen. Die Gruppe spritzte wie auf Kommando auseinander. Zuerst kam Allenstein, und dann ergoss sich eine geballte Ladung Sand und Kies nach unten. Die vorderste Front der Lockermassen erreichte den kleinen Kiesfächer fast gleichzeitig mit dem Professor. Sie erwischte seine Beine und hielt sie fest. Während sein Gesicht noch halbwegs gedämpft auf den Unterarmen aufschlug, überschüttete die restliche Schuttmasse Kopf und Oberkörper.
Henno Allenstein tastete seinen nackten rechten Oberschenkel ab. Irgendetwas störte ihn in seinem Schlaf. Es war ein Plastikschlauch, den er befingerte und langsam in Richtung Bettmitte zwischen seine Beine verfolgte. Jäh zuckte er zusammen, als er erkannte, dass sich der Schlauch in seinen Körper fortsetzte. Er schlug die Augen auf und wollte hochschnellen. Doch ein Stechen in seiner Brust hielt ihn augenblicklich zurück.
»Bleib ganz ruhig liegen, Paps. Es ist nichts Schlimmes passiert.« Katy stand an seinem Bett und strich ihm die Haare aus der Stirn.
»Was ist …?« Schemenhaft erinnerte Henno sich an die Situation in der Kiesgrube. Allerdings nur bis zu seinem Absturz. Danach gähnte ein großes schwarzes Loch.
»Wo bin ich und was ist das für ein furchtbarer Schlauch, der da unten aus mir rauskommt?«
»Du bist im Elisabeth-Krankenhaus. Hast richtig Glück gehabt, dass deine Studenten dich so schnell ausgraben konnten und gleich ein Rettungswagen mit einem Notarzt zur Stelle war. Er war wegen eines Fehlalarms zufällig ganz in der Nähe.«
»Und der Schlauch?«
»Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Das macht man doch immer so, wenn jemand bewusstlos ist. Dann wird vorsorglich ein Katheter gelegt.«
Ihr Vater richtete sich langsam auf und schielte auf den halbvollen Beutel an seinem Bett.
»Der muss aber so schnell wie möglich raus. Ich kann doch zur Toilette gehen.«
»Sicher, aber werd erst einmal richtig wach. Du hast nach der Spritze mindestens vier Stunden geschlafen.«
Henno blickte blinzelnd auf Katys Armbanduhr. »Es ist schon 22.00 Uhr?«, fragte er ungläubig. In diesem Moment betrat der Oberarzt das Zimmer.
»Herr Professor Allenstein! Werner ist mein Name.« Er reichte ihm die Hand.
Allenstein richtete sich ein wenig auf und ergriff die ausgestreckte Hand. »Henno.«
»Nein«, lachte der Mediziner, »Werner ist mein Nachname. Ich bin der Arzt, der Sie nach Ihrem Unfall hier im Krankenhaus untersucht hat. Sie haben noch einmal Glück gehabt.«
»Peinlich, dieser Unfall, und das vor meinen Studenten. Ich hoffe, es wird ihnen für immer eine Lehre sein. Bin ich verletzt?«
»Nichts Ernstes, Einengung des Brustraumes, leichte Quetschungen, leichte Schocksymptome. Wir werden Sie zur Kontrolle eine Nacht hierbehalten.«
»Aber bitte nicht mit diesem Abwasserrohr zwischen meinen Beinen. Der Katheter kann doch wohl weg, oder?«
»Sicherlich, ich sage der Schwester Bescheid.«
Henno blickte seine Tochter mit einem Anflug von Entsetzen an.
Katy konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.
»Du weißt doch, wie bei einem Geologen der Katheter gezogen wird?«
Das Entsetzen wich einem fragenden Blick.
»Eher nicht.«
»Das geht ganz einfach. Die Schwester leert den Urin aus deinem Beutel aus, packt einen schweren Stein hinein und wirft das Ganze aus dem Fenster.«
Henno prustete los, fasste sich jedoch sofort an die Brust, weil ihn ein stechender Schmerz durchfuhr. Er ballte die Faust und stieß seiner Tochter leicht gegen die Hüfte.
»Musste das sein? Das tat jetzt richtig weh.«
»Sie sehen, Herr Allenstein, wir werden nachher noch Ihre Lunge röntgen müssen. Aber Schlimmes ist
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