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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Tugend, sondern als ein Glück erschien. Die siebente Tugend hatte Peter vergessen und konnte sich auf keine Weise mehr daran erinnern. Zum drittenmal kehrte der Rhetor zurück und fragte Peter, ob er fest in seinem Vorsatz sei, sich allen Forderungen zu unterwerfen.
    »Ich bin zu allem bereit«, sagte Peter.
    »Ich muß Ihnen noch mitteilen«, sagte der Rhetor, »daß unser Orden seine Lehre nicht nur durch Worte, sondern auch durch andere Mittel lehrt, die auf einen wirklich nach Weisheit und Tugend Strebenden vielleicht stärker einwirken als bloße mündliche Erklärungen. Unser Orden gleicht den alten Gesellschaften, die ihre Lehre durch Hieroglyphen offenbarten. Eine Hieroglyphe«, sagte der Rhetor, »ist das Merkzeichen einer Sache, die nicht den Gefühlen unterworfen ist und die Eigenschaften enthält, die denen der nachgebildeten Sache gleichen.«
    Peter wußte sehr wohl, was Hieroglyphen sind, wagte aber nicht zu sprechen. Schweigend hörte er den Rhetor an mit dem Vorgefühl, daß sogleich die Prüfung beginnen werde.
    »Wenn Sie fest entschlossen sind, so muß ich zu Ihrer Einführung schreiten«, sagte der Rhetor, auf Peter zutretend. »Zum Zeichen der Genügsamkeit bitte ich Sie, mir alle Ihre Kostbarkeiten zu übergeben.«
    »Ich habe aber nichts bei mir«, sagte Peter, der glaubte, daß man von ihm die Herausgabe alles dessen, was er besitze, verlangte.
    »Was Sie bei sich haben, Uhr, Geld, Ringe.«
    Hastig nahm Peter seine Geldbörse und Uhr heraus und zog mühsam einen Ring von seinem fleischigen Finger.
    »Zum Zeichen des Gehorsams bitte ich Sie, sich auszukleiden.«
    Peter legte auf die Anweisung des Rhetors den Frack, die Weste und den linken Stiefel ab. Der Freimaurer öffnete das Hemd an der linken Seite seiner Brust, bückte sich und schob seine Beinkleider am linken Fuß über das Knie hinauf. Peter wollte hastig auch den rechten Stiefel und die Beinkleider abziehen, um dem Freimaurer die Mühe zu ersparen, aber dieser sagte, das sei nicht nötig, und gab ihm einen Pantoffel für seinen linken Fuß. Mit kindlichem Lächeln, in dem bescheidene Zweifel an Gott oder sich selbst lagen und das gegen seinen Willen auf seinem Gesicht erschien, stand Peter da mit ausgestreckten Armen und Beinen und erwartete die neuen Befehle des Freimaurers.
    »Und endlich als Zeichen der Aufrichtigkeit bitte ich Sie, mir Ihre hauptsächlichste Leidenschaft mitzuteilen.«
    »Meine Leidenschaft? Ich hatte so viele«, sagte Peter.
    »Diejenige, die Sie mehr als die anderen schwanken machte auf dem Weg der Tugend«, sagte der Freimaurer.
    Peter schwieg und dachte nach.
    »Der Wein, Feinschmeckerei, Müßiggang, Zorn, Wut, Weiber«, so zählte er seine Laster auf und wußte nicht, welchem der Vorrang gebührte.
    »Die Weiber«, sagte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme.
    Der Freimaurer rührte sich nicht und schwieg lange nach dieser Antwort. Endlich näherte er sich Peter, nahm das Tuch und verband ihm die Augen. »Zum letztenmal sage ich Ihnen: Richten Sie alle Ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst, legen Sie Ihren Gefühlen Ketten an und suchen Sie das Heil nicht in Leidenschaften, sondern in Ihrem Herzen. Die Quelle des Heils ist nicht außerhalb, sondern innerhalb Ihrer.«
    Peter fühlte in sich schon diesen befriedigenden Quell des Heils, der schon jetzt sein Herz mit Freude und Wonne erfüllte.

77
    Bald darauf kam zu Peter in das dunkle Zimmer anstatt des Rhetors der Bürge Willarsky, den er an der Stimme erkannte. Auf die neue Frage nach der Festigkeit seines Vorsatzes antwortete Peter mit strahlendem, kindlichem Lächeln: »Ja, ja, ich bin einverstanden«, und ging vorwärts nach dem von Willarsky auf ihn gerichteten Degen. Dann wurde Peter mit verbundenen Augen auf Umwegen durch verschiedene Korridore geführt und endlich vor die Tür der Loge. Willarsky hustete, worauf Hammerschläge antworteten und die Tür sich vor ihm öffnete. Eine Baßstimme fragte ihn, wer er sei, wo und wann er geboren sei und so weiter. Dann wurde er wieder mit verbundenen Augen fortgeführt und seine Begleiter sprachen in Allegorien von den Mühsalen seiner Reise, von der geheiligten Freundschaft, von dem ewigen Schöpfer der Welt und dem Mute, mit dem er die Mühsale und Gefahren bestehen solle. Peter hörte, wie seine Begleiter uneinig waren und flüsternd über etwas stritten. Der eine bestand darauf, daß er auf den Teppich geführt werden solle. Darauf wurde seine rechte Hand ergriffen und auf etwas Unbekanntes gelegt, und man

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