Krieg und Frieden
der Beine bedeckte. Um den Hals trug er eine Art von Halsschmuck, aus dem eine hohe weiße Blumenkrause hervorsah.
»Warum sind Sie hierhergekommen?« fragte der Eintretende, »der Sie nicht an die Wahrheit des Lichts glauben und nicht das Licht sehen? Warum sind Sie hierhergekommen? Was wollen Sie von uns? Weisheit? Tugend? Erleuchtung?«
Peter empfand ein Gefühl der Ehrfurcht, Er fühlte die Gegenwart eines ihm im Leben fremden, in der Verbrüderung aber nahestehenden Menschen. Peter erkannte in dem Rhetor (so nennt man in der Freimaurerei den Bruder, der die Neulinge vorbereitet) Smoljaninow.
»Ja, ja, ich ... ich ... wünsche Erneuerung«, brachte Peter nur mühsam hervor.
»Gut«, sagte Smoljaninow. »Haben Sie eine Vorstellung von den Mitteln, mit denen unser heiliger Orden Ihnen zur Erreichung Ihres Zieles hilft?« fragte er ruhig.
»Ja... ich hoffe ... die Leitung... die Hilfe zur Erneuerung«, sagte Peter mit zitternder Stimme. Er stotterte, teils aus Aufregung, teils, weil er nicht gewohnt war, über abstrakte Dinge russisch zu sprechen.
»Welche Vorstellung haben Sie von der Freimaurerei?«
»Ich stelle mir vor, daß die Freimaurerei die Brüderlichkeit und Gleichheit der Menschen mit tugendhaften Zielen ist«, sagte Peter, beschämt darüber, daß seine Worte der Feierlichkeit des Augenblicks so wenig entsprachen.
»Gut«, sagte der Rhetor rasch, durch diese Antwort, wie es schien, vollkommen befriedigt. »Haben Sie zur Erreichung Ihrer Zwecke Hilfe in der Religion gesucht?«
»Nein, ich hielt sie für falsch und unzuverlässig«, sagte Peter leise.
»Sie suchen also die Wahrheit, um im Leben ihren Gesetzen zu folgen, folglich suchen Sie die Weisheit und die Tugend, nicht wahr?« fragte der Rhetor nach kurzem Schweigen.
»Ja, ja«, bestätigte Peter.
»Ich muß Ihnen jetzt das Hauptziel unseres Ordens offenbaren«, sagte der Rhetor, »und wenn dasselbe mit Ihrem Bestreben übereinstimmt, so können Sie mit Nutzen in unsere Brüderschaft eintreten. Das erste und höchste Ziel und die Grundlage unseres Ordens, die keine menschliche Macht erschüttern kann, ist die Bewahrung und Überlieferung eines wichtigen Geheimnisses an die Nachkommenschaft, das aus den ältesten Zeiten, ja sogar vom ersten Menschen bis auf uns gelangt ist, und von dem vielleicht das Schicksal des Menschengeschlechts abhängt. Aber da dieses Geheimnis solcher Art ist, daß niemand es wissen und anwenden darf, ohne durch langjährige und eifrige Selbstreinigung dazu vorbereitet zu sein, so kann nicht jeder hoffen, es bald zu ergründen. Deshalb haben wir ein zweites Ziel, das darin besteht, unsere Mitglieder vorzubereiten, so viel als möglich ihr Herz zu bessern, zu reinigen und ihren Geist zu erleuchten durch jene Mittel, die uns durch die Offenbarung von Männern entdeckt wurden, die an der Erforschung dieses Geheimnisses arbeiteten. Indem wir unsere Mitglieder reinigen und veredeln, bemühen wir uns auch, das ganze Menschengeschlecht zu bessern, und dadurch bemühen wir uns auch, aus allen Kräften das Böse zu bekämpfen, das in der Welt herrscht. Denken Sie darüber nach, und ich werde wieder zu Ihnen kommen«, sagte er und verließ das Zimmer.
»Das Böse zu bekämpfen, das in der Welt herrscht«, wiederholte Peter. Von den drei Zielen, die der Rhetor erwähnt hatte, war dieses letztere, die Besserung des Menschengeschlechts, Peter besonders wohlgefällig.
Nach einer halben Stunde kam der Rhetor zurück und teilte dem Neuling jene sieben Tugenden mit, die den sieben Stufen des Tempels Salomonis entsprechen, und welche jeder Freimaurer in sich selbst aufziehen soll. Diese Tugenden waren: Erstens Bescheidenheit, Bewahrung des Geheimnisses des Ordens, zweitens Gehorsam den höchsten Anführern des Ordens, drittens Sittsamkeit, viertens Liebe zur Menschheit, fünftens Mut, sechstens Genügsamkeit, siebentens Liebe des Todes. »Bestreben Sie sich«, sagte der Rhetor, »durch häufiges Nachdenken über den Tod dahin zu gelangen, daß er Ihnen nicht mehr als schrecklicher Feind, sondern als Freund erscheint, als Befreier von den Mühsalen dieses Lebens.«
»Ja, so muß es sein«, dachte Peter, als nach diesen Worten der Rhetor ihn wieder verließ, »aber ich bin noch so schwach, daß ich mein Leben liebe.« Die übrigen fünf Tugenden jedoch, die Peter an den Fingern herzählte, fühlte er in seiner Seele: Mut, Genügsamkeit, Sittsamkeit, Liebe zu den Menschen und besonders Gehorsam, der ihm übrigens nicht als eine
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