Krieg und Frieden
Schwachheit der Gründe des Freimaurers und fürchtete, ihnen nicht glauben zu können. »Ich begreife nicht«, sagte er, »warum der menschliche Geist nicht zu solchem Wissen gelangen könnte, von dem Sie sprechen?«
Der Freimaurer lächelte. »Die große Weisheit und Wahrheit ist wie der reinste Quell. Können wir in einem unreinen Gefäß dieses reine Quellwasser schöpfen, um seine Reinheit zu beurteilen? Man kann den innerlichen Menschen reinigen und erneuern, und darum muß man erst glauben und sich vervollkommnen, um zum Wissen zu gelangen, und zu diesem Zweck lebt in unserer Seele ein göttliches Licht, das wir Gewissen nennen.«
»Ja, ja«, bestätigte Peter.
»Betrachte mit geistigem Auge deinen inneren Menschen und frage dich selbst: Bist du zufrieden mit dir? Was hast du erreicht, indem du nur dem Verstand folgtest? Wer bist du? Sie sind jung, reich, gebildet, mein Herr, was haben Sie aus all diesen Vorzügen, die Ihnen verliehen worden, gemacht? Sind Sie zufrieden mit sich und Ihrem Leben?«
»Nein, ich verabscheue mein Leben«, sagte Peter düster.
»Wenn du es verabscheust, dann ändere es! Reinige dich, und je weiter die Reinigung vorschreitet, desto mehr wirst du die Weisheit erkennen! Sehen Sie Ihr Leben an, mein Herr, wie haben Sie es verbracht? In stürmischen Orgien. Sie haben alles von der Menschheit erhalten und ihr nichts geliefert. Was haben Sie denn für Ihre Nächsten getan? Haben Sie an die Zehntausende Ihrer Leibeigenen gedacht? Haben Sie ihnen ehrlich geholfen? Sie haben Reichtum erhalten, wie haben Sie ihn genutzt? Sie haben Ihr Leben in Müßiggang verbracht, haben geheiratet, mein Herr. Sie haben die Verantwortlichkeit auf sich genommen, ein junges Weib zu leiten, und was haben Sie getan? Sie haben ihr nicht geholfen, mein Herr, den Weg der Wahrheit aufzufinden, sondern sie in den Strudel der Lüge und des Unglücks hineingestoßen. Ein Mensch hat Sie beleidigt, und Sie haben ihn getötet, und Sie sagen, Sie kennen nicht Gott und verabscheuen Ihr Leben! Darin ist kein Kern von Weisheit, mein Herr.«
Ermüdet vom langen Reden schloß der Alte die Augen. Peter sah in das strenge, unbewegliche, alte Gesicht und bewegte die Lippen. Er wollte sagen: »Ja, ein nichtswürdiges, müßiges, verworfenes Leben«, aber er wagte nicht, das Schweigen zu unterbrechen.
Der Diener erschien an der Tür.
»Sind die Pferde da?« fragte der Alte. »Dann lasse einspannen.«
»Wird er davonfahren und mich allein, ohne Hilfe, lassen?« dachte Peter. Er ging im Zimmer auf und ab und sah zuweilen den Alten an. »Ja, dieser Mensch kennt die Wahrheit, und wenn er wollte, so könnte er sie mir entdecken.« Dies wollte er dem Freimaurer sagen.
Der Fremde ordnete seine Sachen und legte den Mantel um. Dann wandte er sich an Besuchow und fragte in gleichgültig höflichem Tone: »Wohin werden Sie jetzt reisen?«
»Ich? Nach Petersburg«, erwiderte Peter. »Ich danke Ihnen, ich bin in allem mit Ihnen einverstanden, aber glauben Sie nicht, daß ich so dumm sei. Von ganzer Seele wünsche ich mein Leben zu ändern, aber niemals und nirgends habe ich Hilfe gefunden... Übrigens bin ich ganz und gar selbst schuld. Helfen Sie mir, belehren Sie mich, und vielleicht werde ich ...« Peter konnte nicht weiter sprechen und wandte sich ab. Der Freimaurer dachte nach und schien etwas zu überlegen.
»Die Hilfe kommt von Gott«, sagte er, »aber die Unterstützung, welche unser Orden zu bieten vermag, wird er Ihnen gewähren, mein Herr. In Petersburg übergeben Sie dies dem Grafen Willarsky!« Er nahm eine Brieftasche heraus und schrieb einige Worte auf ein Blatt Papier. »Einen Rat erlauben Sie mir noch Ihnen zu geben. Wenn Sie in der Residenz angekommen sind, so widmen Sie die erste Zeit der Einsamkeit und Selbstbetrachtung und verfallen Sie nicht wieder in Ihre frühere Lebensweise. Ich wünsche Ihnen glückliche Reise, mein Herr«, sagte er, als er bemerkte, daß ein Diener ins Zimmer trat.
Der Fremde war Ossip Alexejewitsch Basdejew, wie Peter aus dem Fremdenbuch der Station erfuhr. Basdejew war einer der berühmtesten Freimaurer. Lange nach seiner Abreise ging Peter im Zimmer auf und ab, ohne nach Pferden zu fragen, überdachte seine lasterhafte Vergangenheit und stellte sich mit Entzücken seine vorwurfsfreie, tugendhafte Zukunft vor, die ihm so leicht erreichbar schien. Er glaubte nur deswegen lasterhaft gewesen zu sein, weil er zufällig vergessen hatte, wie schön es sei, tugendhaft zu sein. In seiner Seele
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