Krieg und Frieden
er kühl.
Mutter und Sohn lehnten es ab, sich anmelden zu lassen und traten in die Vorhalle ein, welche mit zwei Reihen von Statuen in Nischen geschmückt war. Der Portier musterte sie vom Kopf bis zu den Füßen, sein Blick blieb auf dem abgetragenen Mantel der Mutter haften. Dann fragte er, ob sie wegen der jungen Fürstinnen oder zum Grafen gekommen seien. Als er hörte, daß sie den Grafen zu sprechen wünschten, beeilte er sich zu erklären, Seine Exzellenz empfange niemand bei seinem leidenden Zustand.
»Gehen wir wieder«, sagte Boris französisch.
»Mein Freund«, erwiderte die Mutter in bittendem Tone, indem sie ihn am Arm berührte.
Boris schwieg. Die Fürstin wandte sich in freundlichem Tone an den Portier: »Ich weiß, daß der Graf sehr krank ist, und deswegen bin ich eben gekommen! Ich bin mit ihm verwandt und werde ihn nicht stören! Ich will nur den Fürsten Wassil sprechen, ich weiß, daß er hier ist. Bitte, gehe und melde uns an!«
Mürrisch zog der Portier die Klingel.
»Die Fürstin Drubezkoi läßt sich bei dem Fürsten Wassil anmelden!« rief er einem Diener zu, welcher unter dem Gewölbe der Treppe hervorsah. Die Fürstin ordnete die Falten ihres Kleides, warf einen Blick in den großen venezianischen Spiegel an der Wand und setzte entschlossen ihr abgetragenes Schuhwerk auf den kostbaren Teppich, der die Treppenstufen bedeckte.
»Ich habe dein Versprechen, mein Lieber«, sagte sie französisch zu ihrem Sohne.
Ein alter Kammerdiener erhob sich bei ihrer Annäherung. Eine der zahlreichen Flügeltüren öffnete sich und der Fürst Wassil trat heraus in seinem Samtrock mit nur einem Orden, was bei ihm Haustoilette war. Er begleitete einen hübschen Herrn mit schwarzen Haaren, den Doktor Lorrain.
»Und das ist ganz sicher?« fragte der Fürst.
»Errare humanuni est« , erwiderte der Doktor, welcher das Lateinische auf französische Weise aussprach.
»Gut, gut«, erwiderte Fürst Wassil. Als er die Fürstin Drubezkoi und ihren Sohn bemerkte, verabschiedete er den Arzt mit einem Kopfnicken. Schweigend näherte er sich ihnen und maß sie mit forschendem Blick.
Boris sah, wie der Ausdruck tiefen Schmerzes sogleich in den Augen seiner Mutter erschien, und lächelte heimlich darüber.
»Wir finden uns unter sehr traurigen Umständen wieder, mein Fürst ... »Wie geht es dem teuren Kranken?« fragte sie, ohne auf den kalten, beleidigenden Blick, den er auf sie richtete, zu achten.
Mit unverhohlenem Erstaunen betrachtete sie der Fürst, ohne den Gruß des jungen Mannes zu erwidern, und antwortete nur mit einer Kopfbewegung, welche andeutete, daß der Zustand des Kranken hoffnungslos sei. »Es ist also wahr?« rief sie. »Ach, wie schrecklich!... Dies ist mein Sohn, er wünscht sehnlichst, Ihnen persönlich zu danken!« – Eine neue Verbeugung von Boris. »Seien Sie überzeugt, mein Fürst, daß das Mutterherz niemals vergessen wird, was Sie für ihn getan haben!«
»Ich bin glücklich, teuerste Fürstin, daß ich Ihnen nützlich sein konnte«, erwiderte der Fürst ziemlich trocken und sehr herablassend. Und zu Boris gewendet: »Geben Sie sich Mühe! Dienen Sie mit Eifer und machen Sie sich würdig der ... der... Ich bin entzückt... daß ich ... Sie sind hier auf Urlaub?« Das alles wurde mit großer Gleichgültigkeit gesprochen.
»Ich erwarte den Befehl, Exzellenz, mich an meinen Bestimmungsort zu begeben«, erwiderte Boris, ohne Empfindlichkeit bemerken zu lassen, noch den Wunsch, die Unterhaltung fortzusetzen. Verwundert über sein ruhiges, bescheidenes Wesen, betrachtete ihn der Fürst aufmerksam.
»Wohnen Sie bei Ihrer Mutter?«
»Ich wohne beim Grafen Rostow, Exzellenz.«
»Ach, ich weiß«, erwiderte der Fürst eintönig. »Ich habe niemals begreifen können, wie Natalie sich entschließen konnte, diesen schmutzigen Bären zu heiraten! Ein bornierter, lächerlicher Mensch, und noch obendrein ein Spieler, wie man sagt.«
»Ja, aber ein sehr braver Mann, mein Fürst«, sagte die Fürstin mit einem Lächeln, als ob sie beistimmte, für den armen Grafen aber doch Nachsicht erbitten wollte. »Was sagen die Ärzte?«
»Wenig Hoffnung!«
»Ich hätte sehr gewünscht, dem Onkel noch einmal für all seine Güte zu danken. Er ist der Taufpate meines Sohnes«, fügte sie mit Würde hinzu. Fürst Wassil schwieg und zog die Augenbrauen zusammen.
Sie begriff sofort, daß er in ihr eine gefährliche Mitbewerberin um die Erbschaft des Grafen Besuchow argwöhnte, und beeilte sich, ihn zu
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