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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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sagte der Feldwebel.
    »So ein Soldätchen!«
    »Das habe ich schon lange vorausgesehen«, sagte ein anderer. »Man sagt, in der dritten Kompanie fehlen seit gestern neun Mann.«
    »Nun, seht her, wie die Füße erfrieren! Wie soll man da marschieren?«
    »Dummes Geschwätz!« rief der Feldwebel.
    »Heute sind nicht wenig Franzosen gefangen worden, aber Stiefel hat kein einziger mehr«, fing ein Soldat ein neues Gespräch an.
    »Alle haben die Kosaken ausgezogen. Für den Obersten haben sie eine Hütte ausgeräumt. Es war traurig anzusehen, Kinder. Sie haben alle ganz ausgeplündert. Einer war noch lebendig und schwatzte sein unverständliches Zeug.«
    »Aber reinliche Leute, Kinder«, bemerkte der erste, »wie weißes Papier.«
    »Dummkopf! Das ist ja von der Kälte.«
    »Aber unsere Sprache verstehen sie nicht.«
    »Vorgestern haben wir einen Haufen Flüchtlinge eingeholt: Sie warteten gar nicht ab, bis wir zu ihnen kamen, warfen gleich die Gewehre weg, schrien Pardon und warfen sich auf die Knie. Man sagt, Platow habe Napoleon gefangen.«
    Bald trat Schweigen ein, das nur durch das Schnarchen einiger Schläfer unterbrochen wurde. Die übrigen wandten sich um, wärmten sich und sprachen nur noch selten. An einem anderen Lagerfeuer aber, etwa hundert Schritte entfernt, hörte man noch immer lautes Lachen.
    »Was lärmen die da bei der fünften Kompanie?« sagte ein Soldat. Ein anderer erhob sich und ging hinüber. »Es ist zum Lachen«, sagte er, als er zurückkehrte, »sie haben zwei Franzosen gebracht, der eine ist halbtot, aber der andere ist solch ein munterer Bursche! Singt Liederchen!«
    »Oho, wir wollen auch hingehen.« Einige Soldaten erhoben sich und gingen zur fünften Kompanie hinüber.

247
    Die fünfte Kompanie lag ganz nahe beim Walde. Ein mächtiger Holzstoß brannte hell und beleuchtete die mit Schnee bedeckten Zweige der Bäume. Mitten in der Nacht hatten die Soldaten im Walde Schritte und das Krachen der Zweige gehört.
    »Kinder, ein Bär!« sagte ein Soldat. Alle erhoben die Köpfe und horchten. Bald darauf traten aus dem Walde in den hellen Feuerschein hinaus zwei sonderbar gekleidete menschliche Gestalten.
    Das waren zwei Franzosen, die sich im Walde verborgen hatten. Der eine war hochgewachsen, mit einem Offiziershut, und schien ganz entkräftet zu sein. Als er zum Feuer ging, um sich niederzusetzen, fiel er zur Erde nieder. Der andere, ein kleiner Soldat mit einem Tuch um das Gesicht, war stärker. Er hob seinen Genossen auf, deutete auf seinen Mund und sprach etwas zu den Soldaten. Diese umgaben die Franzosen, legten dem Kranken einen Mantel unter und brachten heiße Grütze und Branntwein. Der Offizier hieß Ramballes, der andere war sein Bursche Morel. Als Morel Schnaps getrunken und einen Kessel mit Grütze ausgegessen hatte, geriet er plötzlich in eine aufgeregte Heiterkeit und sprach unaufhörlich zu den Soldaten, die kein Wort verstanden. Ramballes aß nichts, lag schweigend beim Feuer auf den Ellbogen gestützt und blickte mit hohlen, roten Augen die russischen Soldaten an. Morel zeigte auf die Schultern, um den Russen verständlich zu machen, daß das ein Offizier sei. Ein russischer Offizier, der an das Feuer kam, ließ beim Oberst fragen, ob er nicht einen französischen Offizier aufnehmen wolle, um ihn zu erwärmen, und als die Antwort zurückkam, der Oberst habe befohlen, den Offizier zu bringen, sagten die Soldaten Ramballes, er solle gehen. Er stand auf und wollte gehen, schwankte aber und wäre gefallen, wenn die Nebenstehenden ihn nicht gehalten hätten.
    »Was? Willst du nicht?« fragte spöttisch ein Soldat.
    »Dummkopf, wie sprichst du da, du Bauer!« riefen verschiedene Stimmen dem Soldaten zu. Sie hoben Ramballes auf, faßten ihn unter den Armen und brachten ihn zur Hütte.
    »O, Kinder!« sagte Ramballes. »Meine guten Freunde! Das sind Menschen!« und legte wie ein Kind seinen Kopf auf die Schulter des einen Soldaten.
    Inzwischen saß Morel auf dem besten Platze, von Soldaten umgeben. Der kleine, stämmige Franzose trug einen Weibermantel und hatte über die Mütze ein Tuch gebunden. Er war sichtlich betrunken, umarmte den Soldaten, der neben ihm saß, und sang mit heiserer Stimme ein französisches Liedchen. Die Soldaten blickten ihn lachend an. »Nun, nun, du da, belehre mich! Ich begreife schnell! Wie heißt es?« sagte der Spaßvogel, den Morel umarmte.
»Vive Henri quatre,
Vive ce roi vaillant!
Ce diable à quatre«,
     
    sang Morel, mit den Augen

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