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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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was er gern haben wollte – nun, dann gab es hundert verschiedene Wege, zum Ziel zu kommen.
    Zu seiner eigenen Überraschung ging alles wie am Schnürchen. Die Freundlichkeit, mit der er in einem Haus nach dem anderen empfangen wurde, war ihm anfangs sogar geradezu peinlich. Etwas kalte Pastete, ein Glas Portwein, eine Tasse Tee, einen Korb Pflaumen, ein reichhaltiges Sonntagsmahl im Kreise der Familie, dergleichen wurde ihm immer wieder angeboten, ja aufgedrängt. Mitunter waren natürlich auch Minuten der Angst und unangenehme Zwischenfälle zu verzeichnen, aber neun Jahre, das sind mehr als vierhundert Sonntage, und in diesem Zeitraum kann man sehr viele Häuser besuchen. Alles in allem war es ein interessantes, aufregendes und lukratives Geschäft.
    Und nun war wieder Sonntag, und Mr.   Boggis betätigte sich in der Grafschaft Buckinghamshire, in einem der nördlichsten Quadrate seiner Karte, ungefähr zehn Meilen von Oxford entfernt. Als er den Hügel hinabfuhr und sein erstes Haus, das verfallene im Queen-Anne-Stil, ansteuerte, stieg in ihm das Gefühl auf, dieser Tag werde sich zu einem seiner glücklichsten entwickeln.
    Er parkte den Wagen in einigem Abstand vom Eingang und machte sich daran, die restlichen zweihundert Schritte zu Fuß zu gehen. Seinen Wagen ließ er nicht gern sehen, bevor ein Handel abgeschlossen war. Ein lieber alter Geistlicher und ein großer Kombiwagen schienen nicht recht zueinanderzupassen. Der kurze Weg gab ihm zudem Gelegenheit, das Haus von außen zu betrachten und sich in eine der Situation entsprechende Stimmung zu versetzen.
    Mr.   Boggis ging schnell die Auffahrt hinauf. Er war ein kleiner Mann, dickbäuchig, mit fleischigen Schenkeln und einem runden rosigen Gesicht, das wie gemacht für seine Rolle war. Die großen braunen Augen, die aus diesem rosigen Antlitz hervorquollen, wirkten ebenso freundlich wie dumm. Er war schwarz gekleidet, trug das übliche «Hundehalsband» der Geistlichen, und auf seinem Kopf saß ein weicher schwarzer Hut. In der Hand hielt er einen alten Spazierstock aus Eichenholz, der ihm seiner Meinung nach ein ländlich-gemütliches Aussehen verlieh.
    Er näherte sich der Haustür und läutete. Gleich darauf hörte er Schritte in der Halle, die Tür öffnete sich, und vor ihm – oder eigentlich über ihm – stand eine riesenhaft große Frau in Reithosen. Nicht einmal der Rauch ihrer Zigarette konnte den kräftigen Geruch nach Stall und Pferdemist übertäuben, der von ihr ausging.
    «Ja?», fragte sie mit einem misstrauischen Blick. «Was wünschen Sie?»
    Mr.   Boggis, der halb und halb darauf gefasst war, sie im nächsten Moment wiehern zu hören, lüftete den Hut, machte eine kleine Verbeugung, überreichte seine Karte und murmelte: «Entschuldigen Sie vielmals, dass ich Sie störe.» Dann wartete er und beobachtete ihr Gesicht, während sie las.
    «Das verstehe ich nicht», sagte sie und gab ihm die Karte zurück. «Was wünschen Sie?»
    Mr.   Boggis erklärte ihr Zweck und Ziel der Gesellschaft zur Erhaltung seltenen Mobiliars.
    Ihre Augen unter den hellen, buschigen Brauen starrten ihn grimmig an. «Hat das etwas mit der Sozialistischen Partei zu tun?», erkundigte sie sich.
    Nun war es leicht. Mit einem Tory in Reithosen, ob männlich oder weiblich, kam Mr.   Boggis immer gut zurecht. Er verwendete zwei Minuten auf ein begeistertes Lob des äußersten rechten Flügels der Konservativen und zwei weitere auf eine heftige Kritik an den Sozialisten. Als letzten Triumph spielte er die Tatsache aus, dass die Sozialisten einmal einen Gesetzentwurf für das Verbot der Parforcejagden auf dem Lande eingebracht hatten, und ging dann dazu über, der Dame seine Auffassung vom Himmel vorzutragen – «obwohl Sie das lieber nicht dem Bischof erzählen sollten». Für ihn, so sagte er, sei der Himmel ein Ort, wo man Füchse, Hirsche und Hasen mit großen Meuten unermüdlicher Hunde jagen könne, und zwar täglich, auch sonntags, vom Morgen bis zum Abend.
    Er beobachtete sie, während er sprach, und bald sah er, dass der Zauber zu wirken begann. Die Lippen seiner Zuhörerin verzogen sich zu einem breiten Lächeln und entblößten dabei zwei Reihen riesiger gelblicher Zähne. «Madam», rief Mr.   Boggis, «ich bitte Sie inständig, halten Sie mich bloß nicht für einen Sozialisten!» In diesem Augenblick brach sie in ein wieherndes Lachen aus, hob eine breite rote Hand und schlug ihm so kräftig auf die Schulter, dass er fast umgefallen wäre.
    «Kommen

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