Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
seinen Wagen und fuhr durch das Dorf auf die andere Seite des Hügels. Von dort erspähte er sechs weitere Möglichkeiten – fünf Höfe und ein großes weißes Haus in georgianischem Stil. Es sah sauber und gepflegt aus, auch der Garten war in bester Ordnung. Schade. Er schaltete es sofort aus. Zu wohlhabenden Leuten zu gehen hatte gar keinen Sinn.
Mithin blieben alles in allem zehn Versuchsobjekte. Zehn ist eine hübsche Zahl, sagte sich Mr. Boggis. Gerade richtig für eine gemächliche Nachmittagsarbeit. Wie spät war es jetzt? Elf Uhr. Eigentlich hätte er ja gern ein Glas Bier getrunken, bevor er anfing, aber sonntags wurden die Wirtshäuser erst um zwölf geöffnet. Na schön, dann eben später. Er warf einen Blick auf seinen Plan und entschied sich für das Queen-Anne-Haus, das mit den Ulmen. Durchs Fernglas hatte es so hübsch verfallen ausgesehen. Die Bewohner würden vermutlich etwas Geld gut gebrauchen können. Mit Queen-Anne-Häusern hatte er von jeher Glück gehabt. Mr. Boggis klemmte sich hinter das Lenkrad, löste die Handbremse und ließ den Wagen ohne Motor langsam den Hügel hinunterrollen.
Abgesehen davon, dass er im Augenblick als Geistlicher verkleidet war, gab es an Mr. Cyril Boggis nichts auszusetzen. Er war Antiquitätenhändler, hatte sich auf Möbel spezialisiert und besaß in Chelsea, in der King’s Road, einen Laden mit Ausstellungsraum. Sein Lager war nicht groß, und die Geschäfte gingen nicht allzu gut, doch da er immer billig einkaufte, sehr, sehr billig sogar, und sehr, sehr teuer verkaufte, brachte er es doch fertig, jedes Jahr einen netten kleinen Verdienst herauszuschlagen. Er war äußerst gewandt und hatte die Gabe, beim Kaufen wie beim Verkaufen genau den Ton anzuschlagen, der ihm die Sympathie des jeweiligen Kunden gewann: ernst, aber charmant für die Bejahrten, untertänig für die Reichen, schlicht für die Frommen, herrisch für die Weichen, mutwillig für die Witwen, frech und schelmisch für die alten Jungfern. Dieses Talentes war er sich durchaus bewusst, und er machte bei jeder Gelegenheit schamlos davon Gebrauch. Nach einer besonders gut geglückten Darbietung konnte er sich manchmal kaum enthalten, einen Schritt vorzutreten und sich zu verbeugen, als hätte ihm ein unsichtbares Publikum donnernden Applaus gespendet.
Trotz dieser ziemlich hanswurstmäßigen Eigenschaft war Mr. Boggis beileibe kein Narr. Man sagte ihm sogar nach, er verstehe von französischem, englischem und italienischem Mobiliar ebenso viel wie die besten Experten in London. Er hatte einen überraschend sicheren Geschmack, und wenn ihm ein Stück missfiel, lehnte er es ohne Zögern ab, so echt es auch sein mochte. Seine eigentliche Liebe gehörte natürlich den Werken der großen englischen Kunsttischler und Architekten des achtzehnten Jahrhunderts – Ince, Mayhew, Chippendale, Robert Adam, Manwaring, Inigo Jones, Hepplewhite, Kent, Johnson, George Smith, Lock, Sheraton und wie sie alle heißen –, doch auch hier zog er gelegentlich eine Grenze. In seinem Ausstellungsraum duldete er zum Beispiel kein einziges Stück aus Chippendales chinesischer oder gotischer Periode, und ebenso verwarf er einige der massigeren italienischen Entwürfe von Robert Adam.
Durch sein Geschick, mit erstaunlicher Regelmäßigkeit ungewöhnliche, oft sogar sehr seltene Gegenstände aufzustöbern, hatte sich Mr. Boggis in den letzten Jahren beträchtlichen Ruhm bei seinen Geschäftsfreunden erworben. Anscheinend verfügte der Mann über eine nahezu unerschöpfliche Quelle, eine Art privaten Warenlagers, aus dem er sich von Woche zu Woche versorgte. Fragte man ihn, woher er die Sachen beziehe, so lächelte er überlegen und murmelte etwas von einem kleinen Geheimnis.
Hinter Mr. Boggis’ kleinem Geheimnis steckte eine höchst einfache Idee. Sie ging auf ein Erlebnis zurück, das er vor nahezu neun Jahren gehabt hatte, als er eines Sonntagnachmittags über Land fuhr. Er hatte sich am Morgen aufgemacht, um seine Mutter in Sevenoaks zu besuchen, und auf dem Rückweg war irgendetwas mit dem Kühler passiert, sodass sich der Motor überhitzte und das Wasser wegkochte. Er war ausgestiegen, zum nächsten Haus gegangen, einem Bauernhäuschen, etwa fünfzig Schritt von der Straße entfernt, und hatte die Frau, die ihm öffnete, um einen Krug Wasser gebeten.
Während er auf ihre Rückkehr vom Brunnen wartete, warf er zufällig einen Blick durch die offene Tür ins Wohnzimmer, und dort, greifbar nahe,
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