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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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diesem Augenblick wurde sich Mr.   Boggis bewusst, dass die drei Männer, Rummins, Bert und Claud, am Kamin lehnten und ihn scharf beobachteten. Sie hatten ihn stehen bleiben, nach Luft schnappen und glotzen sehen, sie mussten bemerkt haben, dass sein Gesicht rot – vielleicht auch blass – geworden war, und wenn er nicht sofort etwas dagegen tat, würden sie ihm auf jeden Fall das Geschäft gründlich verderben. Rasch entschlossen, griff sich Mr.   Boggis ans Herz, taumelte zum nächsten Stuhl und sank schwer atmend darauf nieder.
    «Was haben Sie denn?», fragte Claud.
    «Nichts», hauchte er. «Es geht gleich vorüber. Bitte – Wasser. Mein Herz …»
    Bert holte ein Glas Wasser, gab es Mr.   Boggis und blieb, ihn blöde anstarrend, neben ihm stehen.
    «Ich dachte schon, Sie hätten was entdeckt», sagte Rummins. Sein schlaues Grinsen zog den Froschmund noch mehr in die Breite und enthüllte einige Zahnstummel.
    «Nein, nein», beteuerte Mr.   Boggis. «O nein, es ist nur mein Herz. Tut mir sehr leid, wirklich. Ich habe ab und zu so einen Anfall, aber das geht immer schnell vorüber. In ein paar Minuten bin ich wieder in Ordnung.»
    Ich brauche Zeit zum Überlegen, dachte er. Vor allem aber muss ich mich ganz und gar fassen, bevor ich noch ein Wort sage. Reiß dich zusammen, Boggis. Was du auch tust, bleibe ruhig. Diese Leute mögen unwissend sein, aber dumm sind sie nicht. Misstrauisch sind sie, wachsam und gerissen. Und wenn es wirklich stimmt – nein, es kann nicht, kann nicht stimmen …
    Mit einer Gebärde des Schmerzes presste er die Hand auf die Augen, öffnete sehr vorsichtig einen kleinen Spalt zwischen zwei Fingern und spähte hindurch.
    Kein Zweifel, das Ding stand noch da, und er nahm die Gelegenheit wahr, es lange und gründlich zu betrachten. Ja, er hatte richtig gesehen, daran war nicht zu zweifeln. Es war einfach unglaublich.
    Was er sah, war ein Möbel, für dessen Erwerb ein Fachmann so gut wie alles gegeben hätte. Einem Laien wäre es nicht weiter begehrenswert erschienen, zumal es mit schmutzig weißer Farbe bedeckt war, doch für Mr.   Boggis war es der Wunschtraum eines Antiquitätenhändlers. Wie jeder Experte in Europa und Amerika wusste auch er, dass zu den bekanntesten und gesuchtesten Stücken englischer Möbelkunst des achtzehnten Jahrhunderts die berühmten «Chippendalekommoden» gehören. Er hätte ihre Geschichte im Schlaf hersagen können – die erste war 1920 in Moreton-in-Marsh entdeckt und in demselben Jahr bei Sotheby verkauft worden; die beiden anderen, die aus Raynham Hall, Norfolk, kamen, waren ein Jahr später aufgetaucht, ebenfalls in Sothebys Auktionsräumen. Alle drei hatten enorme Preise erzielt. An den genauen Preis der ersten und zweiten Kommode konnte sich Mr.   Boggis nicht mehr erinnern, doch er wusste mit Sicherheit, dass die dritte dreitausendneunhundert Guineen eingebracht hatte. Und das im Jahre 1921! Heute war sie gewiss zehntausend Pfund wert. Irgendjemand – der Name des Mannes war Mr.   Boggis entfallen – hatte vor nicht allzu langer Zeit eine Abhandlung über diese Kommoden geschrieben und einwandfrei nachgewiesen, dass alle drei aus derselben Werkstatt stammten. Wenn man auch keine Rechnungen gefunden hatte, so waren doch sämtliche Fachleute der Meinung, diese drei Kommoden könnte nur Thomas Chippendale selbst hergestellt haben, und zwar in seiner besten Zeit.
    Und hier, sagte sich Mr.   Boggis immer wieder, während er heimlich durch den Spalt zwischen seinen Fingern schaute, hier stand die vierte Chippendalekommode! Die er gefunden hatte! Reich würde er werden! Und berühmt! Jede der drei anderen war in der Welt der Kunsthändler unter einem besonderen Namen bekannt: die Chastletonkommode, die erste Raynhamkommode, die zweite Raynhamkommode. Diese würde als Boggiskommode in die Geschichte eingehen. Man brauchte sich nur die Gesichter der Leute in London vorzustellen, wenn sie den Fund morgen früh bewundern durften! Von den großen Händlern in West End – Frank Patridge, Mallett, Jetley und so weiter – würden phantastische Angebote einlaufen. Die Times würde ein Bild bringen und dazu schreiben: «Die Entdeckung dieser herrlichen Chippendalekommode verdanken wir dem Londoner Kunsthändler Mr.   Cyril Boggis …» Guter Gott, was für eine Aufregung das geben würde!
    Diese hier, dachte Mr.   Boggis, sieht genau aus wie die zweite Raynhamkommode. (Alle drei, die Chastleton und die beiden Raynhams, unterschieden sich durch

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