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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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Abschnitt des Zwölffingerdarms liegt – gleich dahinter, in Höhe der rechten Niere, führt er senkrecht nach unten. Der Boden ist ganz eben – die erste ebene Stelle, die ich bei dem schrecklichen Absturz erreichte –, und nur deswegen gelang es mir, hier festen Fuß zu fassen. Über mir sehe ich eine Art Öffnung, die ich für den Pförtner halte, wo der Magen in den Dünndarm mündet (ich entsinne mich, dass meine Mutter mir schematische Zeichnungen der Verdauungsorgane zeigte), und unter mir ist in der Wand eine merkwürdige kleine Höhle, die Mündung des Ausführungsganges der Bauchspeicheldrüse in den Zwölffingerdarm.
    Für einen konservativ eingestellten Mann wie mich ist diese Behauptung ein wenig bizarr. Eichenmöbel und Parkettfußboden wären mehr nach meinem Geschmack. Etwas aber gibt es hier, was mir so gefällt, und das sind die Wände. Sie sind wunderschön weich, wie gepolstert, sodass ich nach Herzenslust gegen sie anrennen kann, ohne mir wehzutun.
    Zu meinem größten Erstaunen habe ich hier mehrere Menschen vorgefunden, zum Glück ausschließlich Männer. Aus irgendeinem Grunde tragen sie alle weiße Kittel. Sie tun sehr geschäftig und kommen sich offenbar ungemein wichtig vor. In Wirklichkeit sind sie samt und sonders erbärmliche Dummköpfe. Sie scheinen nicht einmal zu wissen, wo sie sind. Ich versuche dauernd, es ihnen zu erklären, aber sie hören einfach nicht zu. Manchmal bringen sie mich so zur Verzweiflung, dass ich meinen Gleichmut verliere und anfange zu schreien. Dann erscheint auf ihren Gesichtern ein lauernder, misstrauischer Ausdruck; sie weichen langsam zurück und sagen: «Ja, ja, nur ruhig. Nur ruhig, Herr Vikar. Nicht aufregen. Schön brav sein.»
    Was soll so ein Gerede?
    Aber da ist auch ein älterer Herr – er besucht mich jeden Morgen nach dem Frühstück –, der anscheinend etwas mehr in der Wirklichkeit lebt als die anderen. Er ist höflich und würdevoll, und ich glaube, er fühlt sich einsam, denn er sitzt mit Vorliebe in meinem Zimmer und hört mir zu. Ärger gibt es nur, wenn wir auf unseren Aufenthaltsort zu sprechen kommen; dann sagt er immer, er wolle mir zur Flucht verhelfen. Auch heute Morgen redete er davon, und gleich war der Streit da.
    «Verstehen Sie doch», sagte ich geduldig, «ich will nicht fliehen.»
    «Aber warum denn nicht, mein lieber Vikar?»
    «Wie oft soll ich Ihnen noch erzählen, dass sie draußen nach mir suchen.»
    «Wer?»
    «Miss Elphinstone und Miss Roach und Miss Prattley und die anderen.»
    «Was für ein Unsinn.»
    «Doch, sie verfolgen mich. Und ich glaube, hinter Ihnen sind sie auch her, Sie wollen es nur nicht zugeben.»
    «Nein, lieber Freund, hinter mir sind sie nicht her.»
    «Würden Sie mir dann gütigst erklären, was Sie hier unten tun?»
    Das verblüffte ihn etwas, und er wusste offensichtlich nicht, was er antworten sollte.
    «Ich wette, Sie haben sich mit Miss Roach eingelassen und sind ebenso verschluckt worden wie ich. Jawohl, genau das ist passiert, Sie schämen sich nur, es einzugestehen.»
    Als ich das sagte, sah er auf einmal so blass und niedergeschlagen aus, dass er mir leid tat.
    «Soll ich Ihnen ein Lied vorsingen?», fragte ich.
    Er erhob sich, ohne zu antworten, und ging langsam hinaus.
    «Mut, lieber Freund», rief ich ihm nach. «Seien Sie nicht traurig. Es gibt immer Balsam in Gilead.»

Genesis und Katastrophe
    Eine wahre Geschichte
    «Alles in bester Ordnung», sagte der Arzt. «Liegen Sie jetzt schön ruhig und entspannen Sie sich.» Seine Stimme schien Meilen und Meilen entfernt zu sein. «Sie haben einen Sohn.»
    «Wie?»
    «Sie haben einen Sohn, einen Prachtjungen. Das verstehen Sie doch, nicht wahr? Einen Prachtjungen. Haben Sie ihn schreien hören?»
    «Ist er gesund, Herr Doktor?»
    «Natürlich ist er gesund.»
    «Bitte, ich möchte ihn sehen.»
    «Ja, Sie können ihn gleich sehen.»
    «Sind Sie auch sicher, dass er gesund ist?»
    «Ganz sicher.»
    «Schreit er noch?»
    «Versuchen Sie auszuruhen. Sie brauchen sich keinerlei Sorgen zu machen.»
    «Warum schreit er nicht mehr, Herr Doktor? Was ist passiert?»
    «Regen Sie sich nicht auf. Es ist alles in Ordnung.»
    «Ich möchte ihn sehen. Bitte, ich möchte ihn sehen.»
    «Liebe Frau», sagte der Arzt und tätschelte ihre Hand. «Sie haben ein hübsches, kräftiges, gesundes Kind. Warum wollen Sie mir das nicht glauben?»
    «Was tut die Frau da drüben mit ihm?»
    «Ihr Kleiner wird für Sie schön gemacht», antwortete der Arzt. «Wir

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