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Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)

Titel: Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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Doktor? Unser drittes Kind war kaum unter der Erde – und er steht da mit einem Glas Bier in der Hand und sagt, er habe eine gute Nachricht. ‹Heute bin ich nach Braunau versetzt worden›, erzählte er. ‹Du kannst gleich die Koffer packen. Wird ein neuer Anfang für dich werden›, setzte er hinzu. ‹Ein neuer Ort und ein neuer Doktor …›»
    «Bitte, Sie dürfen nicht so viel sprechen.»
    «Sie sind doch der neue Doktor, nicht wahr?»
    «Gewiss.»
    «Und wir sind hier in Braunau?»
    «Ja.»
    «Ich habe Angst, Herr Doktor.»
    «Sie müssen sich bemühen, keine Angst zu haben.»
    «Wie soll ich nach alledem hoffen, das vierte zu behalten?»
    «So dürfen Sie nicht denken.»
    «Ich kann nicht anders. Ich bin sicher, dass meine Kinder erblich belastet sind. Deswegen müssen sie sterben. Bestimmt ist es so.»
    «Das ist Unsinn.»
    «Wissen Sie, was mein Mann bei Ottos Geburt gesagt hat, Herr Doktor? Er kam ins Zimmer, beugte sich über die Wiege, in der Otto lag, und rief aus: ‹Warum müssen alle meine Kinder so klein und schwächlich sein?›»
    «Das hat er gewiss nicht gesagt.»
    «Doch. Und dann steckte er den Kopf in Ottos Wiege, als wollte er ein winziges Insekt untersuchen, und brummte: ‹Ich frage mich bloß, warum sie nicht etwas ansehnlicher sein können. Das ist alles, was ich wissen möchte.› Drei Tage darauf war Otto tot. Wir haben ihn schnell noch am dritten Tag getauft, und an demselben Abend starb er. Und dann starb Gustav. Und dann starb Ida. Alle starben sie, Herr Doktor … und plötzlich war das ganze Haus leer …»
    «Denken Sie jetzt nicht daran.»
    «Ist dieses sehr klein?»
    «Es ist ein ganz normales Kind.»
    «Aber klein, nicht wahr?»
    «Nun, besonders groß ist es nicht. Aber gerade solche Kinder sind meistens sehr widerstandsfähig. Und stellen Sie sich nur vor, Frau Hitler, nächstes Jahr um diese Zeit wird der Junge schon gehen lernen. Ist das nicht ein hübscher Gedanke?»
    Sie antwortete nicht.
    «Und in zwei Jahren wird er sich den Mund fusselig reden und Sie mit seinem Geplapper verrückt machen. Haben Sie denn schon einen Namen für ihn?»
    «Einen Namen?»
    «Ja.»
    «Ich weiß nicht. Jedenfalls nicht genau. Ich glaube, mein Mann hat gesagt, wenn’s ein Junge wäre, sollte er Adolphus heißen.»
    «Dann würde er also Adolf genannt werden.»
    «Ja. Mein Mann liebt den Namen, weil Adolf so ähnlich wie Alois klingt. Mein Mann heißt Alois.»
    «Ausgezeichnet.»
    «O Gott!», rief sie und setzte sich plötzlich im Bett auf. «Bei Ottos Geburt hat man mich genau dasselbe gefragt. Das bedeutet, dass er sterben wird! Sie wollen ihm die Nottaufe geben, nicht wahr?»
    «Aber, aber …» Der Arzt nahm sie sanft bei den Schultern. «Wie können Sie so etwas denken? Ich schwöre Ihnen, dass Sie sich irren. Ich bin nun mal ein neugieriger alter Mann und spreche gern über Namen. Adolphus klingt sehr hübsch, finde ich. Einer von meinen Lieblingsnamen. Und sehen Sie … da kommt er.»
    Die Wirtin, die den Säugling hoch auf ihrem enormen Busen trug, segelte freudestrahlend auf das Bett zu. «Hier ist die kleine Schönheit!», rief sie. «Wollen Sie ihn nehmen, meine Liebe? Oder soll ich ihn neben Sie legen?»
    «Ist er auch warm eingepackt?», fragte der Arzt. «Hier drinnen ist es mächtig kalt.»
    «Keine Sorge, der friert bestimmt nicht.»
    Das Baby war fest in einen weißen Wollschal gewickelt, der nur sein winziges rotes Köpfchen frei ließ. Die Wirtin legte es behutsam neben die Mutter. «So», sagte sie, «jetzt können Sie ihn nach Herzenslust ansehen.»
    «Ich glaube, er wird Ihnen gefallen», meinte der Arzt lächelnd. «Ein prächtiger kleiner Junge.»
    «Und was für entzückende Hände er hat!», begeisterte sich die Gastwirtsfrau. «So lange, zarte Finger!»
    Die Mutter rührte sich nicht. Sie wandte nicht einmal den Kopf, um ihr Kind anzuschauen.
    «Na, was denn!», rief die Wirtin. «Der beißt Sie doch nicht!»
    «Ich habe Angst hinzusehen. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich wieder ein Kind habe, noch dazu eines, das ganz gesund ist.»
    «Los, los, seien Sie nicht so dumm.»
    Langsam bewegte die Mutter den Kopf und blickte in das kleine, überaus friedliche Gesicht neben ihr auf dem Kissen. «Ist das mein Baby?»
    «Natürlich.»
    «Oh … oh … wie schön es ist …»
    Der Arzt ging zum Tisch und fing an, seine Sachen einzupacken. Die Mutter lag im Bett, schaute ihr Kind an, streichelte es lächelnd und gab kleine Laute der Freude von

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