Kuesse niemals deinen Chef
sah, steuerte Lucas auf sie zu. Sofort wandte sich ihm eine kurvenreiche Brünette zu, die schon während der morgendlichen Meetings regelmäßig Augenkontakt mit ihm gesucht hatte.
„Wo ist Grace“, fragte er und runzelte unwillig die Stirn angesichts ihrer schmachtenden Blicke. Was willst du eigentlich? hätte er am liebsten gesagt. Du kennst mich doch nicht einmal! Aber er schwieg und wartete.
„Oh!“ Hilflos klimperte sie mit den Wimpern und schluckte dann heftig. „Sie wissen es noch nicht? Sie … sie ist entlassen worden.“
Lucas starrte die Brünette perplex an. Die Worte ergaben keinen Sinn. „Wie bitte?“, fragte er mit einer Stimme, die das arme Ding zusammenfahren ließ.
„Mr Winthrop hat Grace zur Seite genommen, kurz bevor … bevor die ersten Gäste eintrafen. Anschließend hat sie Sophie gebeten, die Regie zu übernehmen und ist verschwunden.“
Längst schon hörte Lucas ihr nicht mehr zu. Kalte Wut stieg in ihm auf und raubte ihm den Atem. Mit eisigem Blick überflog er den Raum, bis Charlie Winthrop in seinem Fokus auftauchte. Der Geschäftsführer lachte herzhaft über etwas, das sein Gesprächspartner gerade zum Besten gab, und war sich der Gefahr, die ihm drohte, nicht im Geringsten bewusst. Am liebsten hätte Lucas den kleinen fetten Mann mit seinen eigenen Händen in der Luft zerrissen.
Doch plötzlich gewannen ganz andere, völlig überraschende Gefühle in ihm die Überhand: Angst und Widerwillen.
Wie betäubt schaute Lucas um sich. Überall bekannte und berühmte Gesichter, die alle denselben Ausdruck zur Schau trugen: satt und gelangweilt. Es waren die gleichen Gesichter wie auf jeder Party zwischen London, Positano und Sydney und wieder zurück. Und immer blieb es das alte, ermüdende Spiel, das er plötzlich gründlich satthatte.
Der Mann, der vor wenigen Wochen verbittert und voller Zynismus nach Wolfe Manor zurückgekehrt war, existierte nicht mehr. Aber wo war die Frau, die seine Wesensveränderung bewirkt hatte? Jedenfalls nicht da, wo sie hingehörte … an seiner Seite!
Jetzt war es die nackte, kalte Angst, die sich in seinem Innern Bahn brach. Wenn Grace nun beschlossen hatte, nicht nur die Gala, sondern auch ihn zu verlassen? Warum war sie nicht gleich zu ihm gekommen? Er hätte doch …
Sie hat dir ihre Liebe gestanden, und du bist gegangen.
Nein! Er hatte schon so viele Verluste in seinem Leben ertragen müssen! Aber nicht diesen! Nicht Grace!
Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit verspürte Lucas den Drang, um etwas zu kämpfen. Er musste kämpfen, weil er keine andere Wahl hatte. Ein Leben ohne Grace konnte er sich nicht mehr vorstellen.
Grace saß auf dem Fenstersitz in dem kleinen Schlafzimmer, das sie im Pig’s Head gemietet hatte, und starrte ins Leere.
„Wir wollten nur, dass Sie Lucas Wolfe beaufsichtigen, Grace“, hatte Charlie Winthrop hämisch und noch in Hörweite des gesamten Teams zu ihr gesagt, „und nicht, dass Sie ihn in aller Öffentlichkeit bloßstellen, indem Sie sich ihm schamlos an den Hals werfen.“
Benimm dich wie eine Hure, und du wirst so behandelt …
Nicht, dass Charlie Winthrop sie direkt als eine solche bezeichnet oder sie so behandelt hätte, doch der Stachel, den ihre Mutter ihr damals ins Fleisch gejagt hatte, saß offensichtlich doch tiefer, als Grace gedacht hatte. In erster Linie war es der Blick des Kaufhausmanagers gewesen, der ihr heftige Übelkeit verursachte. Aber zum ersten Mal in einer derartigen Situation verspürte sie keinen Fluchtinstinkt, sondern ertappte sich dabei, heimlich nach etwas Schwerem Ausschau zu halten, das sie dem Widerling an den Kopf werfen könnte.
Die Vorstellung, plötzlich zu Gewalttätigkeiten zu neigen, ließ Grace auflachen. Immer noch besser als in Selbstmitleid zu versinken! sagte sie sich.
Außerdem musste sie neue Pläne für die Zukunft schmieden. Lauschend neigte Grace den Kopf. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie sogar schwache Musikfetzen hören, die bis zu ihr herüberwehten. Was für eine Ironie des Schicksals! Während das größte je von ihr geplante Event auf Wolfe Manor in vollem Gang war, stand sie vor den Scherben ihrer Karriere.
Unruhig sprang sie von ihrem Fensterplatz auf.
Ich muss so schnell wie möglich von hier weg! Zurück nach London und dann …
Kraftlos sank sie auf das warme Polster zurück. Ja, was dann? Plötzlich stand ihr Lucas’ Gesicht so lebhaft vor Augen, dass sie einen tiefen Seufzer ausstieß. Er war der Grund für ihren Niedergang, und
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