Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
deren elende Wohnverhältnisse verbessern. Ebenso wie beim Neuen Bauen lässt sich mithin eine ganze Menge über das Menschenbild einer Epoche erfahren, wenn man sich anschaut, welcher Art von Gebäuden die Baumeister ihre größte Aufmerksamkeit gewidmet haben.
Im alten Ägypten waren die aufwendigsten Gebäude die Pyramiden. Sie haben, im Gegensatz zu den damaligen Wohnsiedlungen, Jahrtausende überdauert. Bei den Pyramiden handelt es sich um Grabmale für die Pharaonen. Daraus lässt sich ablesen: Nichts war den alten Ägyptern (zumindest denen, die etwas zu bestimmen hatten) so wichtig, wie dem toten Pharao mit all seinen Schätzen die von Grabräubern ungestörte Reise in die Unterwelt des Gottes Osiris zu ermöglichen – in den meisten Fällen leider vergebens. Vielfach fanden die Grabräuber trotz aller Vorkehrungen einen Weg ins Innere der Pyramiden.
Unser Bild des antiken Griechenland wird hingegen von seinen Tempeln geprägt. Die der Göttin Athene geweihte Akropolis in Athen – wir werden sie noch näher vorstellen – gilt manchen Architekten gar als das vollkommenste Bauwerk der Welt. Das antike Rom stellt sich uns als der Mittelpunkt eines Weltreiches dar, mit Palästen der Macht, wie dem Kapitol, und Orten der Belustigung der Massen, wie der Kampfarena Kolosseum. Außerdem ist die Stadt voller Triumphbögen – den architektonischen Zeichen militärischer Überlegenheit.
Im christlichen Mittelalter wiederum konzentrierte sichdie ganze Gestaltungskraft auf das Jenseits. Es entstanden herrliche Sakralbauten, also Kirchen und Klöster. Man denke nur an die romanischen Basiliken und die gotischen Kathedralen. Burgen erscheinen dagegen eher als plumpe Trutzbauten. Frühestens in der spätmittelalterlichen Gotik, eigentlich aber erst in der Renaissance entwickelten die Architekten einen neuen Sinn für Profanbauten, vor allem bei den Palästen für die reichen Adeligen der norditalienischen Städte. Der Barock brachte zwar auch prachtvolle Kirchen hervor, aber die gewaltige Größe der Paläste (Versailles!) beweist, dass der absolutistische Herrscher mindestens so sehr im Mittelpunkt der Baukunst stand wie Gott. Selbst Fürsten, die ihr Ländchen an einem Tag zu Fuß durchschreiten konnten, wollten bei den barocken Prachtbauten nicht zurückstehen.
Und so finden wir heute überall in Deutschland und Europa Barockschlösser, etwa im sächsischen Delitzsch (der Herzöge von Sachsen-Merseburg), im hessischen Fulda (der örtlichen Fürstäbte), im thüringischen Rudolstadt (die Heidecksburg der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt) oder im mecklenburgischen Ludwigslust (der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin).
Was den Herrschern im Barock recht war, war dem Bürgertum der folgenden Epoche billig (wenngleich nicht im Sinne von kostengünstig). Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden prachtvolle klassizistische Repräsentationsbauten unter der Regie des Bürgertums: Opernhäuser, Museen, Ruhmeshallen, Rathäuser – vom Panthéon in Paris, der Ruhmeshalle Frankreichs, gleichsam dem ersten weltlichen Sakralbau (der ursprünglich noch als Kirche geplant war), über das British Museum in London bis hin zum Kapitol in Washington, geschaffen nach dem Vorbild ebenjenes antiken Kapitols in Rom. Man glaubte im Geiste der Aufklärung an den Sieg derVernunft über Unwissen und Tyrannei – und vermeinte sich dabei auf das alte Griechenland berufen zu können.
Diese Architektur des selbstbewusst gewordenen Bürgertums wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgelöst von etwas wirklich Neuem: den Repräsentationsbauten des Kapitalismus – Hochhäuser und beeindruckende Industrieanlagen. Zunächst dienten die Wolkenkratzer als Firmensitze und wurden von den Konzernen in Auftrag gegeben: Home Insurance, US Steel, Chrysler, Singer, Woolworth waren die Bauherren in Chicago und New York.
Und heute: Im globalen Finanzkapitalismus ist Architektur nicht selten Investitionsobjekt von Spekulanten, was sich erneut in den Wolkenkratzern widerspiegelt, diesmal in Dubai, China, Taiwan und Malaysia. So lässt sich jede Zeit durch ihre Bauten verstehen.
Was beschränkt Architektur?
Bauen ist heute in vielen Fällen zu einem Investitionsgeschäft geworden, an dessen Ende der Profit stehen muss. Dadurch werden die Beschränkungen besonders bewusst, die der Architektur, weit mehr als jeder anderen Kunst, auferlegt sind. Als die drei wesentlichsten Beschränkungen sind zu nennen:
1. der Zweck. Architektur darf den
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