Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
Säule, die jüngste Variante, ist ähnlich schlank wie die ionische, verjüngt sich leicht nach oben und endet in einem kunstvollen Kapitell, bei dem zwischen Säulenende und Voluten ein oder zwei Kränze aus Akanthusblättern mit eingerollten Spitzen zu sehen sind. Einer Anekdote des antiken Architektur-Theoretikers Vitruv zufolge schuf der Bildhauer Kallimachos das korinthische Säulenkapitell, nachdem er bei einer Wanderung auf dem Grab einer Jungfrau einen Korb gesehen hatte, der mit einer Steinplatte bedeckt war. An dem Korb rankten sich Akanthusblätter empor.
Die Griechen hatten die Baukunst zu einer Vollendung geführt, die in Europa über viele Jahrhunderte hinweg nicht mehr erreicht wurde. Kein Wunder also, dass ihre Werke in späteren Epochen kopiert wurden, manchmal nur einige Elemente, etwa die Voluten im Barock, manchmal der gesamte Stil, so im antiken Rom, in der Renaissance, im Klassizismus und im Neoklassizismus. Die Kenntnisse über die griechische Säulenordnung lassen sich auch auf jüngere Gebäude in mitteleuropäischen Breiten anwenden – und sogar in der Neuen Welt (etwa beim Weißen Haus in Washington!).
Übrigens: Der einflussreiche deutsche Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) hat seit dem 18. Jahrhundert unsere Vorstellung von der Kunst der Antike enormgeprägt (siehe auch das Kapitel Archäologie). Er bewunderte die schlichte Eleganz der Architektur und der griechischen Skulpturen, die sich in ihrem weißen, glatten Marmor zeige. »So wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist«, schrieb Winckelmann 1764 in seiner »Geschichte der Kunst des Althertums«. Dumm nur, dass er dabei einem Irrtum aufgesessen ist. In Wirklichkeit war die griechische Kunst und Architektur knallbunt! Die Farbe ist über die Jahrhunderte abgeblättert.
Erdverbunden oder himmelstrebend –
das europäische Mittelalter
So, wie sich die Architektur der Antike am besten an ihren Säulen ablesen lässt, können wir die Architektur des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit an der Form der Fensterbögen bestimmen. Bevor wir uns diesen Formen zuwenden, sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass im Zentrum der mittelalterlichen Baukunst Kirchen und Klöster, also Sakralbauten, standen. Deshalb ist es hilfreich, sich mit einigen wenigen Fachbegriffen vertraut zu machen.
Grundsätzlich wird bei den Kirchenbauten seit der Spätantike zwischen Zentralbauten und Längsbauten unterschieden. Beim Zentralbau sind die Hauptachsen gleich lang, ein beliebtes Bauprinzip in der Antike. Das Pantheon in Rom zum Beispiel ist zwar seit dem 7. Jahrhundert eine Kirche, diente aber ursprünglich als römischer Tempel. Typisch für den europäischen Kirchenbau ist hingegen die Längsform. (Eine der Ausnahmen ist dummerweise die wichtigste Kirche des katholischen Christentums: der Petersdom in Rom.) Ein solcher Bau lässt sich ganz einfach errichten: als lang gestrecktes rechteckiges Gebäude, an dessen Kopf man – für denAltar – einen halbrunden Anbau, die Apsis, ansetzt. Genau so sieht die Konstantinbasilika in Trier aus. Sie stammt allerdings aus dem 4. Jahrhundert und diente zuvor als römischer Kaiserpalast.
Sakralarchitektur hat immer eine symbolische Komponente. Deshalb lag es nahe, christliche Kirchen in Kreuzform zu erbauen. Derart stellen sich uns die Kirchen seit dem Mittelalter dar: als dreischiffiger Längsbau mit einem Querhaus. Der Längsbau ist oftmals nach Osten ausgerichtet, Jerusalem und der aufgehenden Sonne (Symbol der Auferstehung) entgegen. Hinter dem Querhaus nimmt der Chor für den Kirchengesang Aufstellung – der Raum heißt deshalb naheliegenderweise »Chor«. Ihm schließt sich die Apsis an. Natürlich gibt es zahllose Varianten, aber die Grundform lässt sich bis in die Moderne stets wiederfinden.
Die Baumeister des Mittelalters hatten leider ein Problem: Sie mussten zittern, dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt! In den Wirren der Völkerwanderung war das Wissen darüber verloren gegangen, große, statisch sichere Kuppeln und Rundgewölbe zu errichten. Eine Kuppel mit einem Durchmesser von über 43 Metern, wie beim Pantheon in Rom, lag weit außerhalb der Fähigkeiten der mittelalterlichen Baumeister. Um die erste Jahrtausendwende, mit Beginn der Epoche der Romanik, eigneten sie sich dieses Wissen nur sehr langsam wieder an. Aber so ganz trauten die Baumeister ihren eigenen statischen Fähigkeiten nicht. Deshalb sind romanische
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