Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
MEINE MUTTER UND ICH.
EINE MUTTER-MUTTER-KIND-GESCHICHTE
WIE WIR UNS ENTFERNEN UND ICH DAS GLITZERFEST AUS DER DISTANZ BETRACHTE
Meine Mutter ist jetzt Oma. Das ist vielleicht ein seltsamer Satz. Meine Mutter ist jetzt die Oma von Sophie. Und noch viel seltsamer klingt folgende Aussage: Ich bin Sophies Mama. Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich eine Mittzwanzigerin, die es hasst aufzuräumen, gerne ausschläft und gerne Kraftausdrücke verwendet. Sehen so Mütter aus? Blicke ich mir meine Mutter an, sehe ich eine Endvierzigerin, der V-Ausschnitte sehr gut stehen, die sich viel mit Freunden trifft, eine glückliche Ehe führt und mich erschrocken anschaut, wenn ich ungezügelt fluche. Sehen so Omas aus? Offenbar schon, heutzutage zumindest.
Früher waren wir nur Mutter und Tochter, wir kreisten um uns und unsere typischen, sich wiederholenden Konflikte. Aber durch Sophie mussten wir uns beide fragen, warum wir uns eigentlich ständig streiten. Sind wir so, weil wir der anderen gegenüber ein Bild erfüllen wollen? Nach dem Motto: Ich provoziere dich, Mama, weil ich mich von dir abgrenzen will.
Durch das Enkelkind gab es neuen Abstand in unserer Beziehung, den wir beide dringend brauchten. Abstand zu dem, was in den letzten fünfundzwanzig Jahren passiert war. Als ich nämlich nur die Tochter meiner Mutter war. Auch Abstand zu diesen Vorwürfen, die in so vielen Mutter-Tochter-Beziehungen eine Rolle spielen: »Du warst nicht richtig für mich da.« »Nein, du verstehst nur meine Situation von damals nicht.« »Muss ich auch nicht, ich bin ja das Kind.« »Aber du bist
mein
Kind, du warst dabei.« Und so weiter. Durch den Abstand zu diesem Henne-Ei-Problem sind wir uns nähergekommen, auch wenn es noch über uns hängt. Uns eint heute ein großer gemeinsamer Nenner: das Kind. Es hat uns verknüpft, hat uns zu Verbündeten auf (Fast-)Augenhöhe gemacht. Heute darf ich auch böse Schimpfwörter in den Mund nehmen, ohne Angst vor dem Urteil meiner Mutter zu haben. Lange geht das aber auch nicht mehr gut, weil ich mich dann für Sophie zurückhalten muss. Dann werde ich es sein, die sich die Standpauke von der Kindergärtnerin anhören muss, dass Sophie ständig »Scheiße« sagt.
Was bisher geschah: Sommer vor vier Jahren. Im Garten meiner Eltern wird gefeiert. Sie feiern so einiges, ich weiß das, weil ich die Einladung bekommen habe. Sie feiern, dass sie seit 20 Jahren zusammen sind und dass jeder von ihnen 45 geworden ist. Ursprünglich hatten sie überlegt, ein zweites Mal zu heiraten, weil das erste Mal ein bisschen unromantisch war. Stefan hat sich gewehrt, deshalb setzte Anja sich mit dieser Party zwischen den Himbeersträuchern durch. Die meisten Menschen in diesem Garten wissen das alles vielleicht nicht so genau. Ich weiß es aber. Anja und Stefan haben alle eingeladen, die sie kennen. Es ist vermutlich ein rauschendes Fest. Stefan stand ewig in der Küche und hat gewerkelt, gekocht und gebraten. Anja hat gedeckt, organisiert und telefoniert. So ist die typische Rollenaufteilung. Der Nachmittag bricht an, und der Garten füllt sich mit Leben. Vermutlich haben sie die grüne Lichterkette angemacht, die bei Partys immer zum Einsatz kommt. Den Rest des Jahres schwingt der Wind sie aber einfach zwischen zwei Bäumen hin und her. Deshalb muss man dann auch immer mindestens zwei Glühlampen auswechseln, wenn es wieder etwas zu feiern gibt. Und heute Abend gibt es was zu feiern. Denke ich. Denn ich bin nicht da. Ich bin nicht gekommen zur großen Liebesverkündungsfeier meiner Eltern. Absichtlich.
Ein halbes Jahr vor diesem Glitzerfest hatte ich begonnen, Frau Anders jede Woche einmal zu besuchen. Wir sprachen über dies und jenes: die Distanz zu meinen Eltern, das neue Leben mit dem Studium, meine Zukunftsängste, Ängste im Allgemeinen und über meine Mutter. Frau Anders war immer ein bisschen streng mit mir, aber sie half mir, meine Entwicklung dort nachzuholen, wo sie irgendwann mit vierzehn Jahren aufgehört hatte. Sie trichterte mir ein, dass meine Eltern nicht die Heiligen sind, für die ich sie die ganze Zeit hielt. Sie brachte mir bei, Anja als Menschen mit guten Seiten und Fehlern zu sehen. Sie brachte mir bei, mich nicht mehr im Spiegel meiner Mutter zu betrachten. Das ist im Nachhinein alles gut und fortschrittlich gewesen, aber der Weg dorthin hätte Anja und mich fast entzweit. Und der Gipfel dieser Entzweiung fand statt, als alle Gäste fröhlich ihren Sekt schlürften und meinen
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