Land meiner Träume collin1
Tremayne könnte nicht anders als vollkommen verzogen und durch und durch gemein sein. Schließlich war Meggan nur die Tochter eines Bergmanns, egal wie gut sie singen konnte. Aus einem verwegenen Impuls heraus wünschte sie sich inbrünstig, dass etwas passieren würde, was ihren Umzug ins Herrenhaus verhinderte. Sie konnte auch ohne die Wohltätigkeit der Tremaynes eine große Sängerin werden – ganz genau! Mit einem tiefen Atemzug verankerte sie diese Absicht fest in ihrem Herzen und machte sich dann auf den Heimweg.
Henry Collins saß in seinem Lehnstuhl in dem winzigen Wohnzimmer und las eine Lokalzeitung aus Truro. Obwohl er durch Geburt und Erbe dazu bestimmt war, das Leben eines Bergarbeiters zu leben, hatte Henry sich oft gewünscht, er hätte in der Jugend den Mut gefunden, sich seinem Vater zu widersetzen und wegzulaufen, um zur See zu fahren. Es war ihm immerhin gelungen, lesen und schreiben zu lernen, sodass er in dem geschriebenen Wort eine Flucht aus den Fesseln seiner Herkunft finden konnte. Er wollte, dass seine Kinder eine gute Bildung erhielten, denn er hoffte, dass sie dann für sich ein besseres Leben fanden. Die Jungen schienen, obwohl sie alle fleißig waren und das Lesen und Schreiben erlernten, zufrieden mit der Aussicht auf ein Leben als Bergleute. Caroline hatte sich schwergetan mit dem Lernen, sie hatte lieber ihrer Mutter geholfen, statt mit ihrem Pa zu lesen. Nur Meggan hatte eifrig gelernt, denn sie war sich dessen bewusst, dass es in der Welt viel mehr gab als das Dorf Pengelly mit seiner Grube. Als sie in den Salon trat, schaute er mit einem Lächeln auf. Es war ein besonderes Lächeln, mit dem er nur sie bedachte. Obwohl er dieses Eingeständnis nie in Worte gefasst hätte, wusste Meggan, dass sie der Liebling ihres Vaters war. Zwischen ihnen schien es eine besondere Bindung zu geben, wie sie sie mit ihrer Mutter nie erlebt hatte. Caroline war diejenige, die ihrer Mutter am nächsten stand. Caroline, und dann der kleine Tommy. Die Älteste und der Jüngste. Vielleicht war dies so, weil die beiden das blonde Haar ihrer Mutter hatten, während Meggan, Will und Hal so dunkel waren wie ihr Vater. »Warst du wieder draußen im Moor, Liebes?« »Ja, Pa. Wenn ich mal in Tremayne Manor wohn, kann ich das nicht mehr.« »Du hast alle vierzehn Tage einen halben Tag frei.« »Dann komme ich dich besuchen.« Ihre Trennung war das Schlimmste daran, dass sie ihr Zuhause verlassen musste. Ihre Lippen zitterten, und sie senkte den Blick auf ihre Hände, die einander fest umklammerten. »Komm her, Liebes.« Henry klopfte auf sein Knie, auf dem er seine kleine Meggan oft geschaukelt hatte. Seit sie zu groß war zum Schaukeln, hatte sie es sich angewöhnt, neben seinem Sessel auf dem Boden zu sitzen, die Hände auf seinen Knien, und zu ihm aufzublicken, während sie sich unterhielten, oder in geselligem Schweigen den Hinterkopf an sein Knie zu lehnen oder ihm zuzuhören, wenn er von den Tr?umen seiner Jugend sprach. ?Komm, erz?hl mir, was du heute gemacht und was du erlebt hast.? Das war eine ganz harmlose Bitte, denn Meggan fand immer etwas Interessantes, von dem sie erzählen konnte, selbst wenn es nur die Possen der Zaunkönige in den Sträuchern waren, eine Eidechse, die über den Boden gehuscht war, oder eine Ameise, die sich abgemüht hatte, einen Grassamen in ihr Nest zu schleppen. Einen Augenblick lang war Meggan versucht, mit allem herauszuplatzen und ihrem Pa alles über Caroline zu erzählen, über Rodney Tremayne und besonders über den weißen Hasen. Sie hätte es so gerne jemandem erzählt, den Kummer geteilt, der so schwer auf ihrem Herzen lastete. Stattdessen hockte sie sich zu seinen Füßen und lehnte die Wange an seinen Oberschenkel. So konnte er ihr nicht ins Gesicht schauen und dort keinen verräterischen Gesichtsausdruck entdecken. Denn die Erinnerungen an den Nachmittag ließen sich einfach nicht verscheuchen. »Pa, erzähl mir …« Sie unterbrach sich. »Was soll ich dir erzählen, Liebes?« »Warum hat Mr. Tremayne mich als Gesellschafterin für seine Tochter ausgewählt? Warum nicht Sara Merton oder Jenna Gribble? Die Tochter des Pastors wäre doch sicher passender. Jenna ist still und gehorsam, und Sara ist klüger als wir alle zusammen. Sie näht sogar ganz wunderhübsch.« Dieses Klagelied entlockte Henry Collins ein leises Lachen. »Meine liebe Meggan, setz dich nicht herab. Du bist den Mädchen im Dorf absolut ebenbürtig und um einiges intelligenter als die
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