Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
zwangsläufig an Ausbeutung, persönliche Abhängigkeit oder eine Verstrickung in kriminelle Milieus gekoppelt sind. Die Arbeitgeberinnen unter ihnen setzten neue Standards der Berufsausübung: Die Frauen können wählen, welche Dienstleistungen sie anbieten, wie oft und an welchen Tagen sie arbeiten. Sie können Kunden ablehnen und sind weder durch die Chefin noch durch die Gäste weisungsgebunden. Sie arbeiten freiwillig, ohne erzwungenen Alkoholkonsum und häufig in einem angenehmen Ambiente. Viele behalten den Löwenanteil der Einnahmen, zumindest aber die Hälfte für sich. Keine von ihnen ist gezwungen, körperliche oder emotionale Toleranzgrenzen zu überschreiten. Die Pionierinnen der neuen Sexarbeit zeigten, daß sich das Geschäft mit der Lust in erster Linie über Sexualität und nicht über ungleiche Machtverhältnisse definiert.
Mit Erfolg: Kundenbedürfnisse und humanisierte Arbeitsplätze erwiesen sich nicht nur als kompatibel, sondern als höchst einträgliche Bedürfnisschnittmengen.
Nicht nur die Kunden sollen zufrieden sein, sondern auch die Frauen: Evelin / Bordellbetreiberin
Als ich meinen Laden eröffnete, wurde mir oft prophezeit:
»Wenn du den Frauen keine Getränkeprovision zahlst, wirst du ganz schnell pleite gehen. So, wie es bei dir läuft, kann es nicht funktionieren.« Aber die Frauen, die bei mir arbeiteten, waren gar nicht so erpicht darauf, mit den Männern großartig Champagner zu trinken. Zu mir kommen ja auch Frauen, die in anderen Läden mal davon gelebt haben, so viel zu trinken, und die negativen Auswirkungen dort zu spüren bekamen.
Die sind nicht hier, weil sie saufen wollen, sondern weil sie mit den Männern aufs Zimmer gehen wollen, jedenfalls mit denen, die sie akzeptieren. Das findet meine volle Unterstützung. Ich habe den Frauen immer gesagt: »Ihr könnt einem Mann, der euch nicht gefällt, gern mal einen Korb geben.« Davon haben sie auch reichlich Gebrauch gemacht - mit dem Effekt, daß die unangenehmen Leute gar nicht erst wiedergekommen sind. Die angenehmen dagegen brachten Freunde mit und empfahlen uns weiter. So ist der Schnitt der Männer bei uns eigentlich immer recht attraktiv.
Das wirkt sich wiederum auf die Arbeitsmoral der Frauen aus.
Die arbeiten gerne und mit Spaß, und so spürt auch der Mann, daß die Frau nichts unter Druck macht, und kommt gerne wieder. Meine Geschäftsphilosophie lautet: Nicht nur die Kunden sollen zufrieden sein, sondern auch die Frauen.
Die Männer hingegen bestätigen mir immer wieder, wie sehr sie es genießen, hier nicht bedrängt zu werden. Das Angebot zum Sex muß bei uns vom Gast kommen, und ich glaube, daß mein Laden deshalb auch so gut läuft. Hinzu kommt, daß ich im Gegensatz zu Läden, wo die Frauen auf Provision trinken, zivile Getränkepreise anbieten kann. Das heißt, die Männer können auch mal auf ein Bierchen vorbeikommen und einen Freund mitbringen, ohne sich gleich zu mehr verpflichtet zu fühlen. Früher sind die Männer entweder ins Bordell gegangen oder in die Kneipe. Für manche ist mein Laden inzwischen zur Stammkneipe geworden. Sie wissen: Man kann, wenn man will, aber keiner nötigt einen.
Klischee Nr. 2:
Die Sexarbeit spielt sich stets am Rand
der Gesellschaft ab.
Wie konnte sich eine soziale Institution, die ja nicht völlig grundlos zum Inbegriff weiblicher Leidenswege wurde, in vergleichsweise kurzer Zeit so grundlegend wandeln? Was wie eine harmlose Frage klingt, bringt bereits die Lunte zum Glimmen, die zum explosiven Kern der Kontroverse führt: der Annahme einer unausweichlichen wesenhaften Konstante sexueller Tauschgeschäfte in Form von Abhängigkeit, Ausbeutung, Ehrverlust und psychischer Deformation.
Dabei genügt ein Minimum an historischem Sachverstand, um anzuerkennen, daß sich der Alltag, das Selbstverständnis und gesellschaftliche Ansehen einer hochgebildeten griechischen Hetäre im vorchristlichen Athen von dem eines über 2000 Jahre später nach Pattaya verschleppten südchinesischen Bauernmädchens ziemlich elementar unterscheiden sollte.
Das Sexgewerbe wäre nicht das älteste der Welt, wenn es sich zeitlichem Wandel nicht immer wieder neu und oft sehr erfolgreich anpassen würde. Beispiel Nachkriegsdeutschland: Kaum eroberten in den fünfziger Jahren Automobile den Massenmarkt, entstand in vielen deutschen Großstädten der erste Autostrich. Als eine Welle des Wohlstands und Konsums das Land in den sechziger Jahren überrollte, inserierten die ersten
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