Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
gesellschaftlichen Funktion zu fragen, nach globalen Entwicklungen, sexuellen Diskursen, der geschlechtsspezifischen Verteilung finanzieller Ressourcen, der Rolle der Moral in einer scheinbar grenzenlos liberalen Gesellschaft. Dabei kann nicht oft genug wiederholt werden, wer im Mittelpunkt dieser Betrachtungen steht: Frauen, die in den letzten Jahrzehnten die Spielregeln des Rotlichtmilieus erfolgreich auf den Kopf gestellt und bewiesen haben, daß das Geschäft mit der Lust auch ohne Ausbeutung, ungleiche Machtverhältnisse oder Begleitkriminalität funktioniert. Sie sind es, die dazu beigetragen haben, daß sich die moderne Sexarbeit von der klassischen Rotlichtprostitution emanzipieren konnte, die immer noch die Außenwahrnehmung einer ganzen Branche prägt.
Warum sind die Protagonisten dieses Buches ausnahmslos heterosexuell? Ich bin davon überzeugt, daß man den spannenden und komplexen Szenarien der homosexuellen, transsexuellen und lesbischen Prostitution nicht wirklich gerecht wird, wenn man sie hier und da erwähnt, um den politisch korrekten Schein zu wahren.
Gleiches gilt für Prostitutionsbiotope mit speziellen Bedingungen: Beschaffungsprostitution, die Devisen-bzw. von der Staatssicherheit instrumentalisierte Prostitution in der DDR. Wenn diese Spezialszenarien nicht paritätisch berücksichtigt wurden, dann nicht, um sie auszugrenzen, sondern weil sie mehr Aufmerksamkeit verdienen, als im Rahmen meiner Fragestellungen möglich war. Mir ging es vor allem darum, neue Bezüge zwischen der selbstbestimmten Prostitution und den Mechanismen herzustellen, die in unserer Gesellschaft die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen Tag für Tag fortschreiben: das Primat der romantischen Liebe und sexuellen Treue, das Frauen in rollenkonforme Muster drängt, das erstaunlich stabile Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen, das sich vom ersten Arbeitsmarkt bis in diverse Armutsszenarien hinein fortsetzt, die Fiktion einer privaten Liebesbeziehung als kommerzfreier Zone.
Das Thema auf die heterosexuelle Prostitution zu beschränken macht durchaus Sinn, wenn man bedenkt, daß die Sexarbeit eine lukrative Leerstelle zwischen einer immer darwinistischer ablaufenden Partnersuche und der Verödung der Sexualität in Ehen und Beziehungen besetzt. Die Kavernen der Lust gleichen sozialen Chill-Out-Zonen, in denen Männer ihre bürgerlichen Sozialmasken ablegen, um sich von der Last der Sachzwänge, Pflichten und Konventionen zu befreien, die ihnen unsere Leistungsgesellschaft und
»Beziehungsleitkultur« auferlegt. Aber auch bisherige Vorstellungen von männlicher und weiblicher Sexualität werden dort gesprengt, indem Frauen nicht nur ihre eigene Libido ausleben, sondern auch ein vorfeministisches Bewußtsein sexueller Macht. In unserer medial durchsexualisierten Gesellschaft sind Sex, Konsum und Kommerz untrennbar miteinander verbunden, und jede Trennung zwischen privaten und kommerziellen Lustsphären ist zutiefst willkürlich und ideologisch motiviert. Die selbstbestimmte Sexarbeit stellt daher eine unterschätzte Möglichkeit der Umverteilung finanzieller Ressourcen dar, die zwischen den Geschlechtern weltweit extrem ungleich gewichtet sind. Männer und Frauen können sich durch sexuelle Tauschgeschäfte, die in gegenseitigem Einvernehmen und zu fairen Bedingungen ablaufen, das Leben gegenseitig erleichtern: Die einen haben mehr Sex, die anderen mehr Geld.
Ohne ein Stipendium des Förderprogramms Frauenforschung wären die Recherchen und die Arbeit an diesem Buch nicht möglich gewesen. Dem Programm, meiner Lektorin Dr. Annette C. Anton sowie allen Frauen und Männern, die ihre Erfahrungen mit mir teilten, möchte ich sehr herzlich danken. Da wir (noch) nicht in einer vorurteilsfreien Welt leben, wurden sämtliche Bordellbetreiber(innen), Sexarbeiterinnen und ihre Kunden anonymisiert. Das gleiche gilt für Expertinnen aus der Projekteszene, die fürchteten, mit der Veröffentlichung ihrer unbequemen Wahrheiten ihren Arbeitsplatz bzw. weitere Förderungen zu riskieren, ihre Veröffentlichungszusagen ohne Angabe von Gründen rückgängig machten oder plötzlich veränderte Fakten und Einstellungen präsentierten, als sie die möglichen Konsequenzen einer Veröffentlichung ihrer Äußerungen realisierten. Es wäre kontraproduktiv gewesen, um einer offiziellen Autorisierung willen ihre ursprünglichen Statements im Sinne ihrer individuellen oder Projektinteressen zu verändern. Last but not least geht ein Dank
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