Lasst eure Kinder in Ruhe
Strampeln breit gelächelt. Das versuche ich gleich noch mal.« Aus seiner Erfahrung formt das Kind Konturen eines Planes: »Mein Lächeln und Strahlen ist unwiderstehlich, das ist schon mal klar. Jetzt heißt es: noch freier und strampeliger zu jauchzen und zu kreischen. Wenn Mama erst einmal lächelt, dann lächle ich auch und zuletzt sind wir beide ganz froh.«
Jetzt trainiert das Kind die Anspannung seiner Muskeln, die Verläufe der nervlichen Sensationen. Zugleich mit seiner seelischen Verfassung spürt es seinen Körper, immer genauer, immer zuverlässiger, immer gleichmäßiger.
Das Selbst des Kindes stabilisiert sich in freiem Austausch mit der Mutter. Nach wenigen Wochen können andere liebevolle »Bezugspersonen« (was für ein grobes Wort für so viel Empfindsamkeiten!) zeitweise an ihre Stelle treten.
Das Kind hat im Verlauf der ersten ca. 18 Lebensmonate ein Gefühl eines Selbst aufgebaut – noch kein Ich-Bewusstsein, kein Selbst-Bewusstsein, aber immerhin eine stabile Befindlichkeit – ich hier, die Welt draußen! Im Zentrum dieses Ich-Gefühls stehen diese feinfühligen Kommunikationen, möglichst lange und möglichst regelmäßig mit Mama, später auch mit anderen. Das Kind hat dabei ein gutes, verlässliches, beständiges und tröstendes Mutterbild in sich aufgenommen.
Dieses gute innere Bild ist von jetzt an immer da, im Körpergefühl, beim Strampeln, bei den ersten Lauten und Worten, beim Lächeln und beim Weinen. Es ist verinnerlicht. Das »gute Mutterbild« ist die Substanz des Ich-Gefühls.
Papa ist in der Zwischenzeit auch immer wichtiger geworden. Das Kind richtet sich auf, wackelig und tollpatschig, aber es stellt sich auf die eigenen Beine, es will sich der Welt stellen . Was für ein gewaltiges Abenteuer das ist! In dieser Phase suchen Kinder verstärkt die Bindung zu Papa. Papa (oder wiederum eine sehr vertraute Bindungsperson) muss nämlich diese befremdliche, abenteuerliche Welt erklären, zeigen, deuten, im Spiel erobern. Das ist keine Kleinigkeit.
Nehmen wir ein Beispiel:
Papa und Tochter bauen Türme aus Bauklötzen. Mit vergnügtem Gackern fegt die Kleine den schönen wohlgeformten Turm gegen die Wand, ein Bauklotz erregt ihre Aufmerksamkeit. Jetzt robbt sie los. Während sie sich zielsicher auf diesen einen Bauklotz, den sie – aus welchen Gründen auch immer – ins Auge gefasst hat, zubewegt, robbt, krabbelt, nimmt sie mit ihrem ganzen Körper, mit Muskeln und Nerven und allen »Verschaltungen« ihres kleinen Gehirns in sich auf, was Entfernungen sind, Distanzen, Perspektiven, Dimensionen. Welch gewaltige Anstrengungen für Körper und Geist!
Sie lernt jetzt, ganz abstrakt gesagt, was ein »Raum« ist, welche Ordnungen es im Räumlichen gibt. (Wird dieses Lernen nicht mit allen Sinnen und Kindereifer aufgenommen,
droht später ein Unverständnis gegenüber Zahlen und Mengen und geometrischen Figuren. Auf diese Weise entscheidet sich in der frühesten Kindheit Lernerfolg oder -misserfolg beim späteren Lernen in der Schule, nicht durch methodisches Fördern.)
Sie lernt sogar noch viel Schwierigeres, beispielsweise, dass sie selber ein Körper ist, der umgeben ist von anderen Körpern, die mit ihr Zeit und Raum teilen. Im zweiten Teil des Buches erkläre ich, wie soziales Verstehen und Moral mit Lernen zusammenhängen. Ohne das Verständnis für die Eigenart und Eigengesetzlichkeit dieser anderen Kinder, anderen Körper, anderen Objekte gibt es kein aufmerksames Lernen anhand der Weltobjekte und Menschen.
So ein Bauklötzchen ist ja auch ein kleines Wunderwerk. Das Kind betastet die harte Kante, die kühle Fläche, fortwährend speichert es dabei Erfahrungen seines Körpers und seines Intellekts, zugleich wird auch seine Sprache immer genauer.
So lernen Kinder also, ihre Gefühle und ihr Körperempfinden und mit und durch sie die Grundlagen der Ordnungen der Welt. Dies sind nur zwei Entwicklungsschritte, es gibt so viele mehr. Sie machen uns hoffentlich deutlich, wie sehr es uns um innere Vorgänge, leichte und heitere, fließende gehen muss, und nicht um starres Pauken und Behalten und Vokabel-Einbimsen – spielerisch natürlich, versteht sich! – und dergleichen mehr. Nichts davon. Kein Kind wird klüger dadurch. Aber von der Welt »belehrt« zu werden mit Sinnen und Verstand, das öffnet die Seele.
Dieses mutige Sich-Einlassen auf die Eigenarten der Welt der Menschen und Dinge ... verstehen wir, wie radikal der Unterschied zu jedem dirigierten und
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