Lasst eure Kinder in Ruhe
Lernen. Das Gehirn ist eben keine isolierte Lernmaschine, sondern ein Beziehungsorgan.« 3 Wenn man seine Gedankenwelt zu einer Lernmaschine deformiert, verkümmert sie. Das gilt nicht nur für Kinder, aber für sie in besonderem Maße.
Der Lernforscher Fauser fügt hinzu: »Was wir fühlen, sehen, schmecken, wird uns von anderen Menschen gegeben und durch sie beeinflusst.« Und das gilt in besonderer Weise für die Aneignung der Welt. Die Welt wird uns gegeben, erst von Mama und Papa, dann wird sie
erkennbar durch die Berührungen des eigenen Körpers und das Wachsen von Neugier und Vernunft. Solches Lernen belebt die Kinder, stiftet die kantschen »Gefühlsgewissheiten« – und ist meilenweit vom traditionellen schulischen Lernen entfernt.
Schulische Lernmethoden in den Kindergarten zu holen, ist eine Art intellektuelle Misshandlung der Kleinen.
Und was hat dies alles mit Kant zu tun? Führen uns diese Gedanken zu Kant zurück? Ausgerechnet dem so abstrakt erscheinenden Philosophen? Aber auf direktem Weg!
In unseren Überlegungen zu Kant waren wir bei der Frage stehen geblieben: Wie kommt das Moralische in den Menschen? Die Antwort: Es wird ebenso gelernt wie das Lernen von Dingen und Weltwissen. Dies sind ineinander verschlungene, ineinander kreisende Vorgänge, man kann sie unmöglich auseinanderzerren.
Der wesentliche Punkt ist laut Kant »gegenseitige Anerkennung«. Ohne dieses sich im anderen »Spiegeln« und »Anerkanntwerden« würde jedes Kind in seiner triebhaften Natur gefangen bleiben. Aber so ist es ja nicht.
Die tierische Natur des Menschen muss überwunden werden, und sie wird es auch. Insofern nennt Kant das »Vermögen der Vernunft« einen Trick der Natur. Dass die Menschen nicht mit Waffen aufeinander losgehen, sondern sich voneinander in ihrer Entwicklung vorantreiben, voranstoßen lassen, ist trotz der tierisch-destruktiven Seite, die sich in Kriegen und Vernichtung äußert, das große Gegengewicht. Die Moral eben.
Insofern ist »Vernunftvermögen« nicht nur auf Erkennen, Wissen und Lernen bezogen, sondern hat eine moralische Substanz. Wie gesagt: Beides ist nicht auseinanderzuzerren. Nur wer aus der tiefsten Bindung herrührend die Welt wissend erworben hat, spiegelt sich in der Welt als moralisches Wesen.
Schon wieder kompliziert?! Ja, leider. Aber so sind wir Menschen nun mal, unsere Kinder zumal. Daher kommt ja auch der in unserer Kultur selbstverständliche Satz, der ebenfalls auf Kant zurückgeht: »Handle so, dass die Maxime deines Verhaltens für alle gelten könnte.« In der volkstümlichen Fassung heißt das nichts anderes als: »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.« Dies ist lebendige Philosophie.
Und was bedeutet das? Es bedeutet, dass unser ganzes Verstehen von Welt, also auch unser Selbstverständnis, unser Selbstgefühl und unsere Selbstsicherheit im Moralischen verwurzelt ist. Und dieses Moralische ist wiederum eng damit verknüpft, dass wir die Welt aus den allerfrühesten Liebesbindungen erfahren.
Verstehen wir nun, warum wir diese empfindsamen, diese auf das Ich zurückgebogenen Konzepte für das Lernen brauchen? Es ist kaum eine Übertreibung zu sagen, dass das eindressierte, das methodische Lernen bei Kindern, denen dafür das freie Spiel genommen wird, eine Verletzung der kindlichen Moral darstellt.
Wenn ein Kind erfahren hat, dass es sich auch aus der Berührung, der Bewährung und dem Gleichklang mit anderen selber spürt und froh wird, dann kann dieses Kinder-Ich gar nicht wollen, dass dem anderen ein Böses
durch mich geschieht. In gewisser Weise geschieht es ja auch ihm.
Die Spiegelneuronen, die seit einiger Zeit durch die Gehirnforschung geistern, bestätigen dasselbe auf biologischer Ebene. Es ist eine umfassende komplexe Wahrheit, wie die Bindungstheorien auch. Sie werden wiederum von der Tiefenpsychologie ebenso bestätigt wie von der Verhaltensforschung und der Philosophie (und auch vom religiösen Denken).
Wer diese Tiefe auch des Religiösen, dieses Moralische nicht im Lernen mit anstiftet, ist ein schlechter Lehrer. Nun schauen Sie mal in die Programme der »Exzellenzpädagogik«, was Sie dort über Moral (nicht einfach richtig dirigiertes Verhalten, sondern Moral in diesem vertieften Sinn) finden können. So gut wie nichts. Die gesamte Tiefendimension des Lernens ist in diesen Lernkonzepten mit ihrem formalistischen Charakter ausgeblendet. Für Kinder kann das nicht gut sein.
Kinder sind komplexere Wesen,
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