Laugenweckle zum Frühstück
frei?«
Ich zögerte. Spätestens nach vierzehn Tagen würde es seltsam erscheinen, dass ich immer noch Urlaub hatte. Wenn meine Vermieterin andererseits spitzkriegte, dass ich arbeitslos war, würde sie mir sofort wegen Eigenbedarfs kündigen. Ich lächelte Herrn Tellerle, wie ich hoffte, entwaffnend an.
»Ich habe mich selbstständig gemacht und arbeite von zu Hause aus«, sagte ich. »Im Zeitalter von Internet – kennen Sie Internet? – ist das ja alles kein Problem mehr. Und jetzt teile ich mir die Zeit selber ein, das ist sehr angenehm.«
Herr Tellerle nickte wohlwollend: »Dann sen Se ja jetzt mee drhoim. Däded Sie wohl mei Aquarium versorge? I gang nämlich in Urlaub nach Malorka.«
Ich starrte ihn entgeistert an: »Sie gehen in Urlaub? Nach Mallorca? Aber Sie gehen doch nie in Urlaub! Außerdem weiß ich nicht, wie man ein Aquarium pflegt.«
»S’isch ja net fir lang. Die Seniorengruppe der Hundesportfreunde Dägerloch macht a Ausfahrt. On des mit dene Fisch zeig i Ihne.«
Er winkte mich in sein karges Heim. Ich war noch nie in seiner Wohnung gewesen und wusste nicht, ob es jemals eine Frau Tellerle gegeben hatte. In dieser Wohnung fehlte jedoch ganz eindeutig eine weibliche Hand. Im Wohnzimmer stand nur ein alter Holztisch, vier stoffbezogene Stühle, ein abgenutztes Sofa und ein Fernseher. Neben dem Fernseher, gewissermaßen als Zweitfernseher, stand das Aquarium. Zwischen grün wallenden Schlingpflanzen zog ein gutes Dutzend Fische in verschiedenen Farben und Größen gemächlich seine Bahn. »Des isch dr Max«, sagte Herr Tellerle und deutete auf einen blasslila Schleierschwanz. »Und des dr Moritz.« Moritz war auch ein Schleierschwanz, allerdings in zartem Orange. »Des sen meine Liebling.« Danach hielt er mir in affenartiger Geschwindigkeit einen Vortrag über Futter und Filter und fuchtelte mit einer Dose Fischfutter vor meiner Nase herum.
»Ond wenn Se welled, dirfet Se sich auch gern amol a Weile vors Aquarium nahocke«, schloss Herr Tellerle und deutete auf das Sofa. »Des isch sehr beruhigend. Ond ihr jonge Leid hen ja oft so a Ooruh em Leib.«
»Äh ja, vielen Dank«, sagte ich. Mein Magen knurrte. Endlich drückte Herr Tellerle mir einen Türschlüssel in die Hand. Ich war entlassen und flüchtete in meine Wohnung.
Düster starrte ich einige Zeit später in meine Kaffeetasse. Was für eine großartige Entwicklung mein Leben genommen hatte. Letzte Woche hatte ich noch einen Job in einer Werbeagentur. Diese Woche würde mein Lebensinhalt darin bestehen, zwei Schleierschwänze namens Max und Moritz zu füttern, weil Herr Tellerle nach Malorka flog.
Ich hatte in Tübingen Germanistik studiert und danach nach langem Suchen eine unbezahlte Praktikantenstelle auf Bewährung bei der Werbeagentur Rolf & Heinz in Stuttgart-West bekommen. Auf Bewährung hieß, dass ich unter der Voraussetzung, ohne Urlaub Montag bis Sonntag zwölf Stunden am Tag zu arbeiten, von der unbezahlten zur bezahlten Praktikantin, dann zur Volontärin und bei guter Führung zur Junior Texterin aufsteigen konnte. Ich überredete meine Eltern, mich weiter zu unterstützen, bis ich finanziell auf eigenen Beinen stand, und verzichtete auf den Hinweis, dass das ziemlich lange dauern konnte. Nach einem halben Jahr unbezahlten Praktikums, das ich hauptsächlich mit Kaffeekochen, Glastisch abputzen und Kunden empfangen verbracht hatte, stellte mich die Agentur als Volontärin ein und nach einem weiteren halben Jahr, im zarten Alter von neunundzwanzig, als Junior Texterin. Wenigstens bekam ich jetzt statt gar nichts einen Hungerlohn. Nach anderthalb Jahren als Junior Texterin wurde ich zur Senior Texterin befördert (man altert schnell in der Werbebranche), weil ich für eine Eieruhr-Werbung den Spruch »Mach es wie die Eieruhr, zähl die heit’ren Stunden nur« kreiert hatte. Die Werbung zeigte ein lächelndes Ei und war ein großartiger Erfolg.
Nach mir war ein Haufen neuer Leute eingestellt worden, weil es der Agentur hervorragend ging. Wir waren eine junge, aufstrebende Firma, die immer mehr Aufträge bekam, und entwickelten Werbekampagnen für junge, aufstrebende Firmen mit innovativen Produkten, aber natürlich nur für Firmen, die
pc, politically correct
, waren, weil unsere beiden Gründer und Chefs einen strengen Ehrenkodex hatten. Keine Zigaretten oder Rüstungsfirmen, nur fair gehandelte und garantiert nicht die Klimaerwärmung fördernde Produkte wie Eieruhren, Nordic-Walking-Stöcke oder Espresso-Maschinen mit
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