Laugenweckle zum Frühstück
Herman telefoniert? Willst du jetzt die Mutter der Nation werden? Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, dass du dich plötzlich nach einem Spießerleben mit Vorgärtchen sehnst! Seit Jahren muss ich mir anhören, dass du dich nie entscheiden konntest, was du lieber werden wolltest: Entwicklungshelferin in der Wüste Namib oder Reporterin beim
New Yorker
, mit dazugehörigem Loft in Greenwich Village, auf dessen Feuertreppe du dann nach Feierabend
Moon River
gesungen hättest!«
Meine Tränen flossen jetzt richtig. »Schau mich doch an«, flüsterte ich. »Ich bin 31 und habe weder einen Job noch einen Mann. Ich bin ein Versaaaager!«
»Wenn schon, dann eine Versagerin. Trink aus!« Lila schenkte mir sofort nach. Eigentlich war ich nicht der Meinung, dass man Probleme mit Alkohol lösen konnte. Aber heute Abend machte ich eine Ausnahme.
»Also, Line, dann gehen wir das Ganze mal analytisch an. Wie würdest du denn gerne leben?«
Ich schluckte und schloss die Augen. »Vielleicht so: Ich wohne in Stuttgart, hab einen tollen, erfolgreichen Mann, den ich von der Schule kenne und der beim Daimler schafft. Samstags trägt er den Müll raus, wir haben ein eigenes Häuschen mit Vorgarten in Sillenbuch, einen Zweitwagen und zwei entzückende hochbegabte Kinder, ein Mädchen und einen Jungen namens Lisa und Paul, die auf die deutsch-französische Grundschule gehen. In den Sommerferien fahren wir nach Rimini in ein Eurocamp. Ich bin Elternbeirätin und alle zwei Wochen verkaufe ich samstags auf dem Wochenmarkt ehrenamtlich fair gehandelte Produkte aus dem Eine-Welt-Laden. Meine Nachbarinnen grüßen mich und der Metzger spricht mich mit Namen an, alle drei Wochen stell ich die gelben Säcke auf die Straße, bald sind die Kinder aus dem Gröbsten raus und dann steige ich halbtags wieder in meinen Beruf als Fremdsprachensekretärin ein.«
Ich öffnete die Augen wieder. In Lilas Gesicht stand blankes Entsetzen. »Ein Horrorfilm«, flüsterte sie. »Du hast gerade die Eröffnungssequenz von
Kettensägenmassaker in Sillenbuch, Teil 1
beschrieben.«
»Wieso denn?«, fragte ich beleidigt.
»Wieso denn?«, rief Lila wütend. »Wieso denn, fragt sie! Weil dein Mann, den du von der Schule kennst, abends keine Überstunden macht, sondern seine Sekretärin vögelt, du vor lauter Langeweile eine Depression bekommen hast und psychopharmaka-abhängig geworden bist, und es dauert nicht mehr lange, bis Paul mit 16 nachts in Sillenbuch einen Inder krankenhausreif schlägt, während Lisa mit 17 ungewollt schwanger wird! Deshalb!«
Ganz offensichtlich würden sich Lila und ich heute Abend nicht einigen, was den optimalen Lebensstil betraf. Zumindest nicht vor der zweiten Flasche Prosecco. Nach der zweiten Flasche hatten wir uns meinungsmäßig schon deutlich angenähert und fanden, dass die größte Misere der Frauen in der Bundesrepublik Deutschland darin bestand, dass die Vielmännerei verboten war. Man hätte sich sonst einen kleinen Harem aus Dienstleistungsberufen halten können, bestehend aus einem Handwerker, einem Zahnarzt, einem Juristen, einem Friseur, einem Finanzberater, einem Fußreflexzonenmasseur und einem Sexgott.
Lila verabschiedete sich mit einem Arbeitsauftrag, bevor sie ihren schwankenden Abstieg durchs Treppenhaus begann. Ich sollte mir zehn Punkte aufschreiben, die ein Single-Leben attraktiv und beneidenswert machten, und ich sollte sie mir selbst per Post schicken. Lila war immer sehr fürs Therapeutische.
1 Kehrwoche, die: Vor allem in Süddeutschland anzutreffende Sitte, deren Ursprung auf den mittelalterlichen Frondienst zurückgeht. Der Lehnsherr (Vermieter/Hausverwalter) zwingt hierbei seine Tagelöhner (Mieter), beim kleinen Frondienst (Treppe) oder großen Frondienst (Hof, Gehweg) meist nicht vorhandenen Schmutz zu entfernen. Dieser Sitte wird häufig durch nachbarschaftliche Spione, Bluthunde oder Mieterhöhungen Nachdruck verliehen.
2 Schwäbischer Euphemismus für Schlaganfall
3 Leberkäswecken
4 Single-Frauen spielen Doppelkopf
2. Kapitel |
Dienstag
Goodbye, Ruby Tuesday
Am nächsten Morgen wachte ich später als gewohnt auf. Es war nicht gerade die Edelmarke Prosecco gewesen und ganz Stuttgart, vor allem mein Schlafzimmer, schien unter einer Nebelschwade zu liegen. Ich fand das seltsam, so mitten im Februar. Nach einer kalten Dusche und drei Tassen Kaffee lichtete sich der Nebel immerhin so weit, dass mir wieder einfiel, dass ich ab heute im Hauptberuf Tierpflegerin war. Ich holte mir mein
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