Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
dass niemand die Stille störte. Die Ziegeldächer und die mit Efeu berankten Mauern sahen aus, als habe die Sonne ihnen einen silbrig glänzenden Anstrich verpasst. Auch das überlebensgroße Reiterstandbild des Grausamen Ritters, das sich im Park erhob, erweckte den Anschein, als sei es aus purem Silber und nicht aus nüchternem Granit gefertigt.
Die Luft über der grünen Kunstrasenfläche des Sportplatzes flirrte vor Hitze. Er war ebenso menschenleer wie der benachbarte Skateboard-Parcours. Am Rand des nur einige Dutzend Schritte entfernten Basketballcourts jedoch saß ein schmächtiger Junge. Obwohl er im Schatten einer mächtigen Weide hockte, waren seine blonden Haare verschwitzt. Schweißtropfen glänzten auf seinem schmalen Gesicht, und über die dicken Gläser der großen Hornbrille, die seine Stupsnase zierte, zogen sich klebrige Rinnsale. Lukas Leander bemerkte das alles gar nicht. Während er einen vergammelten Tennisball unablässig auf den roten Tartanboden tippen ließ – P lopp! P lopp! P lopp!-, starrte er abwesend vor sich hin. Die fröhlichen Rufe und das Gelächter seiner Mitschüler, die im nahen Drudensee Abkühlung von den für Ende Juni ungewöhnlich hohen Temperaturen suchten, klangen wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Selbst das pummelige Mädchen, das sich ihm nun mit dem unbeholfenen Watschelgang einer übergewichtigen Ente näherte, bemerkte er nicht. Erst als es unmittelbar vor ihm stand, sah der Junge irritiert auf.
»Was ist denn mit dir los, Lukas?«, fragte Kaja Löwenstein und verzog verwundert das sommersprossige Gesicht.
»Mit mir?« Falten kräuselten die Stirn des Jungen. »Was soll denn mit mir los sein?«
»Oh, nö!« Missmutig rümpfte das Mädchen mit den Korkenzieherlocken die Nase. »Du ziehst ein Gesicht wie nach neun Tagen Regenwetter. Dabei scheint die Sonne wie verrückt – und morgen ist auch noch der letzte Schul tag.«
»Ja, und?«
»Das fragst du noch?« Der Rotschopf pustete die Wangen auf und ließ sich schwerfällig neben ihm auf den Boden plumpsen. »Ich dachte, du freust dich auf die Sommerferien genauso sehr wie ich und alle anderen Ravensteiner!«
Natürlich freute sich Lukas ebenfalls auf die Sommerferien. Sehr sogar, denn dass er ein überaus strebsamer und hochintelligenter Schüler war, dem das Lernen ungeheueren Spaß bereitete, vermochte nichts daran zu ändern, dass ihm die langweiligsten Ferien allemal lieber waren als ein noch so aufregender Schultag. Zumal er sich überhaupt nicht mehr daran erinnern konnte, wann er zuletzt so etwas wie Langeweile verspürt hatte. »Ja, schon«, gab Lukas also zurück, doch sein Lächeln wirkte überaus gequält. »Klaromaro freue ich mich auf die Ferien…«
»Na, also! Alles andere wäre auch nicht normal.«
»Aber trotzdem…«
»Hä? Was ist denn los?«
Lukas schaute das Mädchen über den Rand seiner verschmierten Brille an. »Ich mach mir Sorgen um Laura!«
Kaja bewegte erst zweimal stumm den Mund wie eine ratlose Kaulquappe, bevor sie dem Jungen antwortete. »Aber dazu hast du doch gar keinen Grund! Deine Schwester hat ihre Aufgaben bisher doch prima gelöst. Sie hat nicht nur das zerbrochene Schwert gefunden, sondern ist auch noch rechtzeitig durch die magische Pforte nach Aventerra gekommen.« Sie nahm den kleinen Rucksack vom Rücken und begann darin herumzuwühlen. »Und glaub mir, Lukas, sie wird auch euren Papa aus der Dunklen Festung befreien, da bin ich ganz sicher!«, fuhr sie fort, ohne aufzublicken.
»Ah, ja? Bist du das?« Lukas ließ den Ball in der Tasche seiner blauen Baumwollshorts verschwinden. »Deinen Optimismus möchte ich haben!«
»Oh, nö!« Erneut blies das Pummelchen die Wangen auf. »Laura hat es wirklich nicht verdient, dass du ihr so wenig zutraust.«
Unwirsch schüttelte der Junge den Kopf. »Ich weiß, sie hat ganz außergewöhnliche Fähigkeiten, aber…«
Das Mädchen rückte näher an ihn heran. »Ja?«
»Laura war doch noch nie auf Aventerra – von einer kurzen Traumreise einmal abgesehen. Sie kennt sich dort doch gar nicht aus!«
»Na und?« Kaja hatte einen Schokoriegel aus dem Rucksack geholt und riss die Verpackung auf. »Der Hüter des Lichts und seine Helfer werden schon aufpassen, dass ihr nichts passiert.«
»Und wenn nicht?« Vor Sorge um seine Schwester war Lukas’ Gesicht ganz grau geworden. »Woher willst du wissen, was Laura dort erwartet? Was ist, wenn sie sich aus irgendeinem Grund ganz allein durchschlagen muss und keinen hat, der ihr
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