Lauschangriff - Im Visier der Feinde
Sprengvorrichtung zu helfen, um den Gegner anzugreifen. Heimisch aber fühlte er sich eher zu Füßen von Bin Laden oder Aiman al-Sawahiri, um mit ihnen Tee zu trinken und Pläne zu schmieden. Im Moment wusste er aber noch nicht einmal, ob der Scheich überhaupt noch lebte.
Yousaf zog kein einziges Mal in Betracht, dass alles verloren und der Scheich von den Amerikanern getötet worden sein könnte. Er hatte weder Zugang zu Nachrichtenprogrammen im Radio noch durfte er Zeitungen lesen oder fernsehen. Er lebte in einem Vakuum, war von allem abgeschnitten, war allein mit seinen Gedanken und hatte nur ein Minimum an zwischenmenschlichem Kontakt.
Guantanamo war für ihn ein tagtäglicher Albtraum. Auf Kuba herrschen sommers wie winters Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad Celsius. Guantanamo liegt etwas nördlich des 20. Breitengrads, während Yousafs Heimatdorf, hoch über dem Chitral-Tal auf der pakistanischen Seite des Bergzugs und damit fast 16 Grad nördlicher gelegen, ganz anderen Temperaturen ausgesetzt ist.
Die Berge mit den Ehrfurcht gebietenden Gipfeln des Hindukusch liegen nicht mehr im Einflussbereich des Monsuns, weshalb die tief gelegenen Täler mehr oder minder aus Wüsten bestehen. Die Dörfer hoch oben an den Hängen werden allerdingsdurch breite Bergbäche bewässert, die sich vom Schmelzwasser der hohen Gipfel speisen.
Dort war Yousaf, den die konstant hohen Temperaturen des Gefangenenlagers auf Kuba fast in den Wahnsinn trieben, aufgewachsen. Er sehnte sich danach, wenigstens zeitweise der Hitze zu entrinnen, was nur in der Regenzeit der Fall war, wenn hin und wieder aus Südwesten ein Hurrikan heranzog und über das Lager hinwegfegte, als wollte er es in die Hölle und wieder zurück befördern. Doch dann war es wenigstens kühler, und Yousaf lag in seiner Zelle auf dem Rücken, lauschte dem Sturm und dachte an seine verlorene Heimat.
Wie immer gingen ihm die Worte des großen Osama durch den Kopf, Yousaf versuchte sich auf sie zu konzentrieren und sich an sie so zu erinnern, wie der Große, Einzige sie gesprochen hatte. Und dann begann er sie zu rezitieren, murmelnd, wie ein Mantra.
Er kniete sich dazu hin, verschränkte die Hände, als suchte er Trost beim Propheten, sprach feierlich die Worte und bat Allah darum, seinen Anruf zu erhören – noch sei er nämlich nicht am Ende, noch schlage in ihm das Herz des treuen Dschihadisten:
Nie war die arabische Halbinsel – seitdem Allah sie erschaffen hat, flach und von Wüsten bedeckt und von Meeren umgeben – von Streitmächten wie den amerikanischen Kreuzfahrerarmeen bestürmt worden, die wie Heuschrecken über sie herfallen und ihre Reichtümer verzehren und ihre Pflanzungen zerstören.
Die Vereinigten Staaten haben die Länder des Islam und seine heiligsten Orte besetzt, das Volk gedemütigt und Schrecken über die Nachbarn gebracht. Sie bilden die Speerspitze der Streitmächte, die unter dem Banner der Allianz aus Kreuzzüglern und Zionisten steht. Bislang haben sie mehr als eine Million Menschen im nördlichen Abschnitt der Halbinsel getötet – und jetzt kommen sie, um auch jene unter uns auszulöschen, die noch übrig sind.
D ie Vereinigten Staaten verfolgen sowohl religiöse wie wirtschaftliche Ziele, sie dienen dem Judenstaat und sollen von der Besetzung Jerusalems und dem Mord an den Muslimen dort ablenken. Ihr Ziel ist es, uns alle zu schwächen und durch unsere Schwäche und Zerrissenheit das Überleben Israels zu sichern, auf Kosten von muslimischem Blut.
Diese Ausführungen, die einer ernsthaften historischen Untersuchung wohl nicht standhalten dürften, waren ursprünglich Teil der Fatwa »Dschihad gegen Amerika«, die auf Befehl Bin Ladens am 23. Februar 1998 veröffentlicht worden war. Seitdem hatte der in Saudi-Arabien geborene Wortführer des islamistischen Terrorismus sie oftmals umformuliert, und Yousaf Mohammed hatte sie oft gelesen. Jetzt wiederholte er sie erneut in seiner weichen, monotonen Stimme und verschwendete nicht einen Gedanken an jene, die er persönlich in die Luft gesprengt und getötet hatte.
Sollte er jemals Guantanamo verlassen, wäre es ihm bestimmt, in die höchste Führungsriege der El Kaida aufzusteigen, gleichgültig, ob Bin Laden noch am Leben war oder nicht. In den Höhlen des Hindukusch sprach man seinen Namen mit höchstem Respekt. Er galt dort nicht als Fanatiker, sondern als hervorragend ausgebildeter Schlachtenlenker, wie der Dschihad ihn brauchte. Für die El-Kaida-Ältesten war Yousaf
Weitere Kostenlose Bücher