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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ERSTES KAPITEL,
    in welchem von einer zynischen Eskapade die Rede ist
    Am Montag, dem 13. Mai 1876, in der dritten Nachmittagsstunde eines sommerlich warmen Frühlingstages, kam es im Alexandergarten unter den Augen zahlreicher Zeugen zu einem unerhörten, gegen alle Regeln verstoßenden Vorfall.
    Viel vornehmes Publikum erging sich um diese Zeit auf den Parkwegen, unter blühendem Flieder, zwischen Beeten mit leuchtend roten Tulpen: Damen mit Sonnenschirmchen aus Spitze (vorbeugend gegen Sommersprossen), Gouvernanten mit Knaben in Matrosenanzügen und gelangweilt dreinblickendes junges Volk in modischen Cheviotröcken oder Sakkos englischer Fasson. Nichts, was bevorstehende Unannehmlichkeiten hätte ahnen lassen, im Gegenteil: Faule Zufriedenheit und froher Müßiggang lagen in der von prallen Frühlingsdüften geschwängerten Luft. Die Sonne brannte ordentlich, alle im Schatten befindlichen Bänke waren belegt.
    Auf einer von ihnen, unweit der künstlichen Grotte gelegen und jenem Außenzaun zugewandt, hinter dem die Neglinnaja-Straße begann und die gelbe Mauer der Manege sich abhob, hatten zwei Damen Platz genommen. Die eine, sehr jung noch (wohl besser Fräulein als Dame zu nennen), las in einem Buch mit saffianledernem Einband und schaute nur hin und wieder gedankenverloren in die Runde. Die zweite, weitaus älter, in gediegenem dunkelblauem Baumwollkleid und praktischen halbhohen Schnürschuhen, strickte konzentriert, die Nadeln gemessen handhabend,an einem giftrosa Etwas – nicht ohne den Kopf beständig nach rechts und nach links zu drehen, so daß ihren flinken Augen wohl nichts entging, was nur irgendwie Beachtung verdiente.
    Kein Wunder also, daß ihr der junge Mann in den engen, karierten Hosen, dem lässig über der weißen Weste aufgeknöpften Rock und dem breitkrempigen Schweizer Hut gleich ins Auge gesprungen war. Allzu auffällig die Art, wie er den Parkweg entlangging: immer aufs neue stehenbleibend und wie nach jemandem Ausschau haltend, dann wieder anfallartig ein paar Schritte vorwärtspreschend, um erneut in Reglosigkeit zu verharren. Unversehens nun richtete dieses derangierte Subjekt den Blick auf unsere Damen – und als wäre im selben Moment ein Entschluß gefallen, kam es mit ausholenden Schritten auf sie zu. Vor der Bank blieb das Subjekt stehen und rief, dem Fräulein zugewandt, in närrischem Falsett: »Verehrteste! Hat Ihnen schon jemand gesagt, daß Ihre Schönheit unerträglich ist?«
    Das Fräulein, in der Tat ein bezaubernd schönes Wesen, starrte den Frechling an, der schmale, erdbeerrote Mund stand ihr vor Schreck ein wenig offen. Selbst ihre reifere Begleiterin war verdutzt ob dieser unerhörten Taktlosigkeit.
    »Ein Blick hat genügt, ich bin wie vom Blitz getroffen!« fistelte der fremde junge Mann, der durchaus nicht unansehnlich war: das Haar an den Seiten modisch gestutzt, blasse, hohe Stirn, braune Augen, blitzend vor Erregung. »Erlauben Sie, daß ich auf Ihr unschuldiges Haupt einen noch unschuldigeren Kuß pflanze, einen Bruderkuß nur!«
    »Mein Herr, Sie sind ja völlig betrunken!« protestierte die Dame mit dem Strickzeug, deren deutscher Akzent hiermit zum Vorschein kam.
    »Betrunken vor Liebe, nichts sonst!« versicherte der Frechling und fuhr mit derselben unnatürlichen, irgendwie blökenden Stimme das Fräulein zu bedrängen fort: »Nur einen einzigen Kuß – sonst lege ich auf der Stelle Hand an mich!«
    Das Fräulein saß da, steif gegen die Banklehne gepreßt, und drehte das Lärvchen der Beschützerin zu, die wiederum, der heiklen Situation zum Trotz, Geistesgegenwart bewies.
    »Machen Sie unverzüglich, daß Sie wegkommen! Sie sind übergeschnappt!« schrie sie und reckte ihr Strickzeug, aus dem die Nadeln martialisch hervorragten, gegen den Fremden. »Ich rufe den Parkwächter!«
    Und nun geschah etwas gänzlich Unfaßbares.
    »Aha! Man weist mich also ab!« heulte der junge Mann mit gespielter Verzweiflung, legte den Arm theatralisch vor die Augen und zog aus der Innentasche seines Rockes blitzschnell einen kleinen, schwarzglänzenden Revolver. »Wie kann es sich da noch zu leben lohnen? Ein Wort von Ihnen, und ich
werde
leben! Ein Wort von Ihnen, und ich falle tot um!« ging er das Fräulein flehend an, das, selbst mehr tot als lebendig, auf der Bank saß. »Sie schweigen? Dann leben Sie wohl!«
    Natürlich erregte der mit der Waffe herumfuchtelnde Herr inzwischen Aufsehen. Mehrere Personen, die gerade in der Nähe waren – eine beleibte Dame mit

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