Lauschangriff - Im Visier der Feinde
zu Bin Ladens Hauptquartier in den afghanischen Bergen abberufen worden. So hatte er die schuttübersäten Straßen des Gazastreifens in der Überzeugung verlassen, zu »Spezialeinsätzen« zurückzukehren. Nach Meinung des Mossad hatte es sich bei dem Anschlag auf das Park-Hotel um einen solchen gehandelt.
Der Mossad stand nun vor einem doppelten Problem. Zum einen kannte man nicht Bens Namen und verfügte über keinerlei Anhaltspunkte, um ihn eindeutig zu identifizieren. Zum anderen hatte man keine Erfahrung mit Operationen in den nordöstlichen Gebirgsregionen Afghanistans. Man arbeitete zwar nur allzu gern mit den Anti-Terror-Abteilungen der CIA oder des FBI zusammen, konnte aber keine den US-Navy-SEALs vergleichbare Spezialeinheit aufbieten, die geeignet gewesen wäre für den mörderischen Kampf in den unzugänglichen Bergen, an denen sich in der Vergangenheit bereits die Briten und die Sowjets die Zähne ausgebissen hatten. Man musste sich nicht sonderlich anstrengen, um im Hindukusch zu sterben.
Es war überhaupt ein Glücksfall gewesen, dass al-Turabi hatte aufgespürt werden können. Einige Stunden vor der Explosion im Hotel wurde vom Mossad in Netanya ein höchst verdächtiges Handy-Gespräch abgehört. Um das am Mittelmeer gelegene Hotel zu evakuieren, war es zu spät gewesen, aber die Überwachungsteams hatten das Handy nun auf ihrem Radar, und acht Tage später erfassten sie es erneut in einem dicht besetzten Fußballstadion in Amman auf der anderen Jordanseite.
Daraufhin verstummte al-Turabi. Erst vier Monate später, in Zusammenarbeit mit dem britischen Militär, wurde das Handy wieder geortet: diesmal in Afghanistan in der Nähe der Hauptstadt Kabul. Der israelische Geheimdienst kam zu der Schlussfolgerung, dass der Täter, der für den Anschlag in Netanya verantwortlich gewesen war, sich auf dem Weg zu Bin Ladens Hauptquartier befand.
Es waren noch die naiven Zeiten, lange bevor den Dschihadisten klar wurde, dass ihre Handys zum tödlichsten Werkzeug ihrer Feinde werden konnten. Mittlerweile mieden sie deren verräterische Signale und gebrauchten, wenn überhaupt, nur noch selten Mobiltelefone, deren elektronische Botschaften den Aufenthaltsort des Anrufers verraten konnten.
In jenen Tagen hatte es die National Security Agency in Fort Meade, Maryland, tatsächlich geschafft, das Handy des El-Kaida-Führers abzuhören, als er in seiner Höhle mit seiner Mutter in Saudi-Arabien telefonierte. Ausgesuchten Besuchern wurden die Aufnahmen als Party-Gag vorgespielt.
Doch damals benutzte Ben al-Turabi sein Handy wie ein liebeskranker Teenager in einem englischen Internat, plauderte einfach drauflos, rief Fußballergebnisse ab, hinterließ obszöne Nachrichten auf den Anrufbeantwortern seiner Freunde und benahm sich im Allgemeinen so, wie es sich für einen palästinensischen Massenmörder nicht geziemte.
Die amerikanischen Horchposten hatten ihn bereits nach fünf Minuten erfasst und schickten umgehend die schwere Artillerie, ein Top-SEAL-Team, das zu Fuß bei strömendem Regen die Grenze überquerte, sich durch die Schluchten vortastete, bis es mit skrupelloser Effizienz über das El-Kaida-Versteck herfiel. Irgendwie hatte al-Turabi es noch geschafft, sein Handy zu zerstören und es loszuwerden, bevor die SEALs seine Höhle stürmten. Das Handy wurde nie gefunden, und damit war auch ein weiteres Indiz für seine Identität für immer verloren.
Alles andere ergab sich ganz automatisch. Der stets gut gelaunte Torhüter wurde innerhalb einer Woche nach Guantanamo verfrachtet, ein heimatloser, namenloser politischer Gefangener bar jeder Zukunft, der in seiner Zelle auf und ab schritt, nicht angeklagt wurde, aber im Verdacht stand, gravierende Verbrechen gegen den Staat Israel und dessen Bevölkerung begangen zu haben.
Trotz seiner »Wer? Ich?«-Haltung und seiner umgänglichen Art galt er als der Härteste aller Inhaftierten, war auch nach Jahren rigoroser Verhöre ungebrochen, wurde, stets gefesselt, in Einzelhaft untergebracht und als höchstes Sicherheitsrisiko eingestuft. Bei Fußballspielen waren bewaffnete Wachen immer neben den Torpfosten postiert, die ihn bei der geringsten falschen Bewegung ohne zu fragen niedergeknallt hätten.
Aber al-Turabi unterließ jede falsche Bewegung. Er war ein geradezu vorbildlicher Gefangener. Mehrere Wachleute hatten sich im Lauf der Jahre daran gewöhnt, zum Zeitvertreib mit dem großen Palästinenser zu plaudern, der die englische Sprache außergewöhnlich gut
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