Lauschangriff - Im Visier der Feinde
Mohammed im Moment außer Gefecht gesetzt. Aber eines Tages würde er zurückkehren.
Auch über Ibrahim Sharif machten sich die Ältesten Gedanken. Nach dem Angriff auf Bagdad 2003 war die Zusammenarbeit zwischen Bin Ladens Beraterstab und der Taliban-Führung verstärkt worden, hochrangige Männer wurden in den Irak geschickt, wo sie allerdings unter den amerikanischen Angriffen zu Dutzenden ums Leben gekommen waren.
Männer wie Ibrahim wurden nach wie vor hochgeschätzt, die Erinnerung an sie wurde lebendig gehalten, und sei es nur, weilso viele von ihnen gefallen waren. Ibrahim und Yousaf wenigstens waren noch am Leben, auch wenn unklar war, wie es ihnen ging. Laut dem Spionagenetz der El Kaida waren sie in Guantanamo inhaftiert, aber das musste ja nicht so bleiben.
Weltweit wurde Druck ausgeübt, das Lager zu schließen. Dem gegenüber stand die ungebrochene Entschlossenheit des Pentagon, es weiterhin zu betreiben, war Guantanamo doch der einzige Ort, wo die illegalen Kombattanten ohne Gerichtsverfahren festgehalten werden konnten.
Auch die Situation in den Bergdörfern Afghanistans wurde zusehends komplizierter. Die paschtunischen Gemeinschaften mit ihren 2000 Jahre alten Stammessitten missbilligten die unnachgiebigen Lehrmeinungen der Taliban und sahen immer weniger ein, warum sie einen irrwitzigen Krieg gegen einen der mächtigsten Staaten der Welt führen sollten – einen Staat, der ihnen bereits 2001 in Tora-Bora deutlich gemacht hatte, dass er sie, wenn er sich dazu gezwungen sah, jederzeit in Grund und Boden bomben konnte.
Die Taliban und El Kaida standen also vor einem Dilemma. Es wurde für sie immer schwieriger, ältere Männer aus den Dörfern anzuwerben. Gefolgsleute fanden sie nur noch unter den leicht zu beeindruckenden Jugendlichen, die sich dafür begeistern konnten, eines Tages Krieger des Dschihad zu werden.
Auf diese Weise war Ibrahim rekrutiert worden. Die gesetzestreuen Dorfgemeinschaften standen dem reserviert gegenüber, und im Lauf der Jahre erfüllte es die Dorfältesten mit zunehmender Unruhe, wie El Kaida und die Taliban unter ihnen potenzielle Freiheitskämpfer anwarben.
So war es auch ein Paschtunendorf im Hindukusch gewesen, das 2005 beschlossen hatte, trotz entschiedenen Widerspruchs seitens der Taliban und der El Kaida den schwer verwundeten Navy SEAL Marcus Luttrell zu retten. Die Dorfbewohner blieben bei ihrer halsstarrigen Haltung, retteten Luttrell und weigerten sich, ihn an die Taliban auszuliefern.
Das Auftreten der Dschihadisten gegenüber den Dörfern wurde in den Folgejahren immer aggressiver. Unterschwellig schwang immer die Drohung mit, das ganze Dorf niederzubrennen, falls die Familien ihnen nicht die jüngeren Söhne überließen, um sie zu indoktrinieren.
Den Forderungen der bewaffneten Kämpfer war allerdings eine Grenze gesetzt, die sich aus einer einfachen Tatsache ergab: Sie waren auf die Dörfer angewiesen. Die Dorfgemeinschaften versorgten sie mit Lebensmitteln, Wasser und boten Unterkunft, wenn sie sich vor den US-Truppen in den Bergen verstecken mussten. Die Taliban- und El-Kaida-Kämpfer konnten sie bedrohen, ihnen aber nicht den offenen Krieg erklären, falls sie nicht Gefahr laufen wollten, dass Dutzende der Paschtunen-Gemeinschaften ihnen endgültig den Rücken zukehrten.
Die Paschtunen waren im Grunde eine friedfertige Volksgruppe, brachte man sie aber gegen sich auf, schlossen sie sich zusammen und bekämpften den Feind, bis keiner mehr am Leben war. Davor schreckten die müden und entmutigten Taliban und El-Kaida-Kämpfer zurück, die in den Bergen des nordöstlichen Afghanistan Verbündete, aber keine Feinde suchten.
Auf der anderen Seite der Grenze, in den nördlichen Provinzen Pakistans, werden die Paschtunen als Pathanen bezeichnet. Sie bilden damit die größte Stammesgemeinschaft der Welt, und ihre althergebrachten Bräuche und Sitten unterscheiden sich gar nicht so sehr von den rigiden Verhaltensnormen der Taliban.
Yousaf Mohammed war Pathane, seine Sippe hatte jahrhundertelang in Afghanistan gelebt. 1973 war seine Familie nach Pakistan gezogen, und 25 Jahre später war der 17-jährige Yousaf wieder nach Afghanistan zurückgekehrt, um sich Bin Laden anzuschließen. Sowohl er als auch Ibrahim waren gläubige Muslime, die mehr als alles andere auf die Worte des 1,95 Meter großen Scheichs und des Propheten Mohammed hörten.
In Guantanamo nahmen die Gefangenen jeden Morgen vor Sonnenaufgang der Reihe nach Aufstellung, worauf ihnen
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