Lauter Irre
hatte, unter dem Kleiderschrank erblickte, wo er sie offensichtlich versteckt hatte. Sie ging hinüber, zog sie hervor und stellte fest, dass sie unverschlossen war. Elsies Neugier gewann die Oberhand, und sie öffnete die Aktentasche und untersuchte den Inhalt.
Der einzige Gegenstand in der Tasche war ein großer brauner Umschlag, in dem sich etwas befand, was sich wie dünne Notizhefte anfühlte. Elsie löste die Heftklammern am Ende des Umschlags und ließ den Inhalt herausgleiten. Wie sie es nach dem Betasten des Umschlags geahnt hatte, handelte es sich nicht um Notizhefte, sondern um Pässe, und zwar eine ganze Menge, sowie um einen Führerschein.
Elsie unterzog den Führerschein einer genaueren Prüfung und öffnete die Pässe einen nach dem anderen, las die Namen und betrachtete die Fotos. Sie erkannte ihren toten Liebhaber sofort als Horace Wiley ohne Bart auf dem Führerschein wieder. Der Mann mit dem Bart war ein Österreicher namens Hans Bosmann, und der Pass wäre in sechs Monaten nicht mehr zu viel nutze gewesen, weil er abgelaufen gewesen wäre.
Aber warum hatte Horace ihr erzählt, sein Name sei Bert, und wieso besaß er all diese offenkundig falschen Pässe? Als kluge Frau weigerte Elsie sich, irgendwelche englischen Zeitungen zu lesen, die in Spanien gedruckt wurden, nicht einmal die Times und den Telegraph, weil sie sich nicht im Mindesten für Politik interessierte. Sie las nur La Vanguardia und El País, die sich meistens auf das beschränkten, was in Spanien geschah, und über lokale Angelegenheiten berichteten.
Trotzdem kam ihr der Name Wiley irgendwie bekannt vor, und jetzt, als sie darüber nachdachte, war sie sich sicher, dass er gefallen war, als sie britische Strandgäste über etwas hatte reden hören, das diese als Wiley-Mysterium bezeichnet hatten. Vielleicht hatte der Führerschein, den sie in der Hand hielt, ja etwas mit diesem Mysterium zu tun.
Einen Augenblick lang erwog Elsie, den Führerschein neben der Leiche liegen zu lassen, ehe sie sich dagegen entschied. Schließlich war Bert – oder Horace, wie sie nunmehr wusste – seit langem der erste Mann gewesen, der ihr so viel sexuelle Erfüllung beschert hatte. Als sie die Tür aufschloss und zu ihrem eigenen Zimmer hastete, nahm sie den Führerschein mit. Die Pässe ließ sie zurück.
Horace Wiley hatte zu Lebzeiten anonym bleiben wollen, und jetzt, wo er tot war, würde sich daran nichts ändern.
42
Der Vorschlag des alten Samuel, Belinda solle sich in der Pfarrgemeinde nahe Corebate nach einem Geistlichen umtun, der sie mit Esmond verheiraten könnte und würde, hatte sich ausgezahlt. Der Reverend Theodore Grope war zwar nicht auffindbar – Gerüchten zufolge war er irgendwohin davongeschlurft und obendrein so uralt, dass dieses Irgendwo möglicherweise jenseits aller Mühsal des Irdischen lag. Glücklicherweise jedoch gab es an seiner statt einen neuen Amtsinhaber, und zwar einen, der ihr zu glauben schien, als sie ihm sagte, dass für die bevorstehende Eheschließung alles ordnungsgemäß geregelt sei.
Nichtsdestotrotz hatte Belinda eine beachtliche Summe hinlegen müssen, vorgeblich für die Wiederherstellung der dringend reparaturbedürftigen Dorfkirche. Am Ende hatte sie mit Freuden gezahlt. Denn Reverend Horston, der offenbar neu im Bezirk war, war gern bereit, zur Trauung nach Grope Hall zu kommen.
Belinda hatte einen eleganten Anzug aufgetrieben, der Esmond recht gut passte. Der Anzug hatte einem jungen Grope gehört, der während des Krieges eingezogen worden war. Es hieß, er sei durchaus bereitwillig in die Armee eingetreten, um der Langeweile seines Lebens in Grope Hall zu entkommen, doch man erzählte sich auch, dass der Arme bei El Alamein von einer Granate zerrissen worden war, gewiss nicht die Flucht, die er sich vorgestellt hatte. Belinda hatte Esmond ein Paar neue Schuhe und einen Ehering kaufen müssen, doch unter den gegebenen Umständen bereiteten ihr diese Ausgaben keinen großen Verdruss.
Nachdem sie diese Vorbereitungen erledigt hatte, machte sie sich daran, ihren Verlobten in dem Hochzeitsritual zu unterweisen. Sie war verblüfft, wie einfach das war. Esmond schien sich nicht im Mindesten dagegen zu sträuben. Im Gegenteil, er war offenbar aufrichtig erfreut, sie zu heiraten.
»Was nur zeigt, wie jung und attraktiv ich für ihn sein muss. Und was ist er doch für ein reizender Junge«, dachte sie irrigerweise bei sich. »Es macht ihm nicht einmal etwas aus, Mr. Grope genannt zu werden.«
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