Lauter Irre
Sie selbst hatte angefangen, den Mädchennamen einer entfernten Cousine zu verwenden, bald jedoch würde sie Mrs. Grope sein und über Haus und Ländereien herrschen.
Am nächsten Morgen stand Esmond unglaublich früh auf und ging hinaus, um mit dem alten Samuel zu reden, dem er inzwischen sowohl Zuneigung als auch Vertrauen entgegenbrachte. Samuel saß vor seiner Hütte auf der Hügelkuppe jenseits der Mauer, wo man ihn vom Haus aus nicht sehen konnte.
»Ich wollte dich etwas fragen«, sagte Esmond und ließ sich neben ihm auf dem Gras nieder.
»Nur zu. Frag ruhig.«
»Wieso nennen sie dich ›der Alte‹? Du bist doch gar nicht alt.«
Samuel nickte und entzündete eine uralte Pfeife.
»Du bist wirklich ein aufmerksamer junger Bursche. Daran gibt’s keinen Zweifel«, meinte er grinsend und wies nicht darauf hin, dass Esmond ihn das bereits gefragt hatte, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, und außerdem seither so gut wie jeden Tag. Tatsächlich fragte er sich, ob der Bengel vielleicht irgendeinen Gehirnschaden hatte, was auch erklären würde, wieso er so lange geblieben war. Andererseits konnte er Esmond mittlerweile gut leiden und traute ihm, und so erklärte er ihm genau wie damals Belinda, dass sein richtiger Name eigentlich Jeremy sei, und, jawohl, er sei erst Mitte dreißig.
»Du bist ein feiner Kerl, Joe«, schloss der alte Samuel. »Und solche wie du waren hier in den letzten Jahren Mangelware. Jetzt, wo sie weiß, dass Grope Hall in Belindas Händen ist, kann die alte Myrtle in Frieden sterben. Jetzt ist Belinda an der Reihe, sich wegen weiblicher Nachkommen Gedanken zu machen.«
»Heirate ich deswegen?«
»Denke schon«, erwiderte der alte Samuel. »Immerhin sieht deine Künftige gut aus, das ist mehr, als man von den meisten Frauen der Gropes sagen kann. Aber ich würde mich trotzdem vorsehen. Man weiß nie, was die Gropes im Schilde führen. Vielleicht hat sie ja nicht mehr viel Verwendung für dich, wenn du erst mal sozusagen deine Pflicht getan hast.«
Esmond lächelte. »Ich glaube, das kriege ich schon geregelt. Ich habe da ein paar eigene Pläne, und wenn das klappt, dann wird’s auch für dich gut laufen. Du und ich, wir sind ein gutes Team, Samuel. Und ich würde dich von jetzt an gern Jeremy nennen, wenn dir das recht ist.«
Samuel lächelte zurück und streckte den Arm aus, um das mit Handschlag zu besiegeln.
»Natürlich ist mir das recht. Aber vielleicht nur nicht, wenn deine Frau es hören kann, wie? Du bist ein guter Freund, Joe. Ich pass schon auf dich auf«, versicherte er. »Ich lass dich nicht im Stich, wenn ich’s irgendwie vermeiden kann.«
Esmond kletterte am Ende der Wiese über die Mauer und rannte den Hügel hinunter zu einer Stelle, wo man ihn vom großen Haus aus nicht sehen konnte. Er wollte ein Weilchen über diese neue Freundschaft nachdenken – vielleicht seine allererste echte Freundschaft, auch wenn er Jeremy in der Öffentlichkeit noch nicht mit seinem richtigen Namen anreden konnte. Doch all das würde sich ändern, wenn er erst seinen rechtmäßigen Platz als Herr und Besitzer von Grope Hall einnahm.
Bald darauf hörte er Belinda in der Ferne nach ihm rufen, also rannte er zum Haus zurück, umging die Küche und eilte die Steintreppe zum Schlafzimmer hinauf, wo er so tat, als sei er gerade erst dabei, sich anzuziehen, als Belinda hereinkam.
»Wie hast du geschlafen?«, erkundigte sie sich.
»Ganz wunderbar. Ich hatte einen sehr schönen Traum. Von dir. Vom Leben mit dir, wenn wir verheiratet sind.«
Belinda war gerührt. Er war wirklich ein entzückender Junge.
»Nur noch zwei Tage«, sagte sie und küsste ihn, bevor sie in die Küche hinunterging, um sein Frühstück zuzubereiten.
Hinter ihr lächelte Esmond in sich hinein. Sie hatte ja keine Ahnung. Für ihn konnten die zwei Tage gar nicht schnell genug vergehen.
Nachdem er gegessen hatte, ging er wieder hinaus und am Bahngleis entlang, bis er eine Biegung umrundet hatte und abermals außer Sicht des Hauses war. Dort setzte er sich in die Sonne und überdachte von Neuem, was er zu Belinda sagen würde, wenn sie erst verheiratet waren. Und wie lange er abwarten sollte, bevor er seine Drohung wahr machte. Er beschloss, eine Woche zu warten, um Belinda glauben zu lassen, sie sei immer noch Herrin des Anwesens, und dann würde er zuschlagen. Er würde ihr sagen, dass er, wenn sie ihm nicht die vollständige Kontrolle überließ, Anklage wegen Bigamie gegen sie erheben würde. Und wegen
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