Lautlos
immer.
Sie startete den Golf, legte einen Gang ein und ließ den Wagen am alten Messegelände vorbeirollen. Ihr blieb ausreichend Zeit, ein paar Einkäufe zu erledigen und ihre Eltern zu besuchen, um ihr Gepäck dort loszuwerden. In den nächsten Tagen würde sie dort schlafen.
Sollte Kuhn sich um O'Connor kümmern, falls der Physiker nicht wie versprochen ins Koma fiel.
1998.13. DEZEMBER. PIEMONT. LA MORRA
Jana saß über Bergen von Unterlagen und verfluchte den Verfall der guten Sitten im Geschäft des Tötens.
So merkwürdig es klingen mochte – der Terror hatte seine Unschuld eingebüßt. Lange Zeit waren die Gruppierungen bemüht gewesen, die Waage zwischen akzeptabler Gewalt und Gewaltfreiheit zu halten. Man legte Wert auf die Feststellung, nur ausgemachte Lumpen zu bekämpfen. Das Hineinziehen Unschuldiger sei unethisch. Gewalt habe sich gegen den Staat zu richten, nicht gegen die Bürger, für die man das ganze unerfreuliche Geschäft ja letzten Endes auf sich nehme.
Das war natürlich in die Tasche gelogen. Wen man symbolisch um die Ecke brachte, der war trotzdem tot. Dennoch war es eben diese Schwammigkeit zwischen Eskalation und Ethik, die dem Terrorismus mitunter Sympathien auf breiter Ebene eintrug. In letzter Konsequenz ging es darum, Anhänger zu gewinnen, die keine Terroristen waren. Man erzwang die Bereitschaft zuzuhören, um sie dann sinnvoll zu nutzen, Nachdenklichkeit und Sympathie zu erzeugen und seine Lobby zu vergrößern. Organisationen wie PLO, IRA und ETA wussten zeitweise sehr genau, wie weit sie gehen konnten, um mit dem Märchen vom Symbol noch durchzukommen und einmal gewonnene Anhänger nicht wieder zu verschrecken. Ob die Öffentlichkeit nun wollte oder nicht, sie begann, sich mit den Problemen Nordirlands, der Basken und der Palästinenser zu beschäftigen und Verständnis dafür zu entwickeln. Man konnte dem Terrorismus vorwerfen, er sei menschenverachtend und brutal, aber im Resultat seiner Bemühungen hatte er sich hin und wieder legitimiert. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Jassir Arafat war dafür das beste Beispiel.
Dann, 1995, kam der Schock. Die Freisetzung des tödlichen Nervengases Sarin in der Untergrundbahn von Tokio durch die Aum-Sekte setzte über Nacht alle Statuten der Terrorismusforschung außer Kraft. Offenbar gab es Gruppierungen, die aus unerfindlichen Gründen wahllos Massen von Menschen töteten, je mehr, desto besser. Hatten die meisten Terroristen bis dahin eine Abneigung gegen Massenvernichtungswaffen gezeigt und beinahe konservativ mit Pistole und Nagelbombe operiert, wurde nun der Exodus der Menschheit propagiert, inspiriert von einem mystischen, fast transzendentalen, göttlich inspirierten Gebot.
Wie es aussah, war der internationale Terrorismus in eine Phase erhöhter Gewalttätigkeit und gesteigerten Blutvergießens eingetreten, die auf diffusen religiösen und rassistischen Maximen gründete. Die Frage, was diese Organisationen überhaupt wollten, wurde nur noch übertroffen von der Ratlosigkeit hinsichtlich ihrer Mitglieder. Das Schlimmste schien jedoch zu sein, dass den Massenmördern offenbar jede Form von High-Tech und gewaltige Summen Geldes zur Verfügung standen und dass sie sich professioneller Killer bedienten, die ebenso wenig eine moralische Grenze zogen wie ihre Auftraggeber.
Die Welt rieb sich die Augen und verfiel in hektische Aktivität. Als hätte man der Probleme nicht genug, dämmerte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch noch der Schwarzmarkt für Atomwaffen herauf. Internationale Krisenstäbe tagten. Ein Abkommen zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit jagte das nächste. Der Schrecken vor dem Schrecken setzte ein globales Planspiel in Gang. Was kam als Nächstes? Chemischer Regen? Nukleargewitter? Kaum einer, der nicht mit sentimentaler Wehmut an die guten alten Flugzeugentführungen und politischen Morde zurückdachte, als Terroristen eigentlich noch nette Menschen waren, vielleicht mit einem etwas übersteigerten Empfinden für Symbolik. Die Zukunft lag im Dunkel. Alles konnte passieren. Nichts war abwegig genug, um nicht gedacht zu werden. Nichts, was nicht im Bereich des Möglichen lag.
Nichts, wogegen man sich nicht zu wappnen suchte.
Nur so war es zu verstehen, dass Jana am Abend des 13. Dezember 1998 bei einer Flasche Nebbiolo d'Alba Überlegungen anstellte, die weit über das gewohnte Instrumentarium des traditionellen Terrorismus hinausgingen. Ohne die Signale, die vom Wahnsinn der Sekte Aum
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