Lautlos
leicht zu drehen und von der Lampe weg- und wieder darauf zuzuschieben. Die leuchtenden Bögen in der Flüssigkeit verloren oder gewannen an Intensität, je nachdem. Sie streckte den Zeigefinger aus und schob das Glas ganz unter die Halogenbirne, bis sich das Licht in einem strahlenden Punkt bündelte, einer kleinen Sonne, dort, wo der Kelch des Glases auf dem Stiel ruhte.
Dann ergriff sie das Glas und trank es aus.
Ungewöhnlich war es!
Aber würde es auch nur im Traum funktionieren?
Die Müdigkeit war verflogen, von Verspannung keine Spur mehr. Jana zog eine Schublade auf, entnahm ihr einen neuen Block und einen Bleistift und begann zu arbeiten.
1999.15. JUNI. KOELN.
1. PHYSIKALISCHES INSTITUT
Für die meisten war O'Connors Besuch Anlass zur Freude.
Wagner nahm sich vor, alles zu tun, um die Freude einigermaßen abzusichern, als sie um Viertel vor sechs ihre Eltern verließ, aber ein Unwetter konnte man auch nicht mehr als ankündigen. Auf O'Connor warteten rund vierzig Studenten, eine Hand voll Professoren und diverse Leute von der Kölner Presse. Entweder sie schloss den Physiker im Hotel ein oder fügte sich in das Unvermeidliche, wie immer es sich darstellen mochte.
Die Innenstadt war dicht. Wagner brauchte zwanzig Minuten, um zum Institut zu gelangen und den Golf zwischen zwei rostzerfressene Renaults zu bugsieren, deren Seitenscheiben mit Verkaufsangeboten zugeklebt waren. Die Zülpicher Straße, an der die weißen Flachbauten des Instituts inmitten einer ausgedehnten Grünanlage hervorstachen, war die Handelsmeile der Studenten für ihre meist vorsintflutlichen Fortbewegungsvehikel. Man konnte Autos erstehen, die als mindestens so ausgestorben galten wie die Saurier, und manche fuhren sogar. In den letzten Jahren hatte sich der Durchschnittszustand der hier versammelten Blechhaufen etwas gebessert, aber immer noch sah man Kuriositäten zu Vorkriegspreisen, denen man kaum zutraute, ihren Parkplatz je wieder verlassen zu können.
Wagner schloss den Golf ab in der Hoffnung, dass niemand ihn zwischenzeitlich kaufte, sah sich nach beiden Seiten um und lief über die Straße. Keine hundert Meter weiter begann jenseits einer Eisenbahnüberführung das studentische Kneipenviertel. Inzwischen, nachdem man jahrelang nicht durch bestimmte Straßen hatte gehen können, ohne auf Drogenverkäufer zu stoßen, die aus ihrer Ware keinen Hehl machten, ging es dort wieder einigermaßen gesittet zu. Einige der schlimmsten Läden hatten dichtgemacht oder die Besitzer gewechselt. Der Auto- und Fahrraddiebstahl war geringfügig zurückgegangen. Wirklich kriminell war nach Aussage einiger Studenten aus Wagners ehemaligem Dunstkreis nur noch das Essen in der Mensa, und selbst das hatte sich angeblich gebessert.
Sie umrundete das Gebäude auf gepflasterten Wegen, bis ihr Bäume den Weg versperrten und sie den kompletten Weg zurück musste. Der Eingang lag versteckt am gegenüberliegenden Ende. Wagner hatte in Köln Germanistik, Politik und Anglistik studiert, bevor sie an die Alster emigriert war, aber das Physikalische Institut hatte sie auch damals nie betreten.
Im Laufschritt nahm sie die wenigen Stufen zu den Glastüren, die ins Innere führten, und durchquerte die dämmrige Halle. Es gab schlimmere und erbärmlichere Orte der Gelehrsamkeit; wenigstens schmückten ein paar Bilder von Radioteleskopen und spektographische Aufnahmen der Erdoberfläche die Wände. Nachdem Wagner die Halle fast vollständig durchquert hatte, las sie zu ihrer Rechten die Aufschrift »1. Physikalisches Institut« auf einer großen Glasfläche. Dahinter lag der Hoheitsbereich der Leute, die verstanden, was der Weltraum zu erzählen hatte. Im angrenzenden Trakt begann das eigentliche Institut. Man kam nicht einfach herein, wenn man nicht angemeldet war. Auch die Wissenschaft schützte sich vor unerwünschten Eindringlingen.
An einer Wand hing ein Telefon. Sie wählte eine Nummer und wartete. Eine Stimme meldete sich.
»Kika Wagner«, sagte sie. »Ich bin die Vorhut von …«
»Ich weiß schon«, antwortete die Stimme. »Warten Sie einen Augenblick, ich hole Sie ab.«
Sie hängte ein und legte den Kopf in den Nacken. Über ihr prangte ein Foto der Zugspitze. Die Spitze der Zugspitze, um genau zu sein. Hineingekauert in das Felsmassiv wartete die kompakte Halbkugel eines Observatoriums darauf, dem Universum seine Geheimnisse abzutrotzen.
Wagner stellte sich vor, eine sternenklare Nacht dort zu verbringen. Man vergaß allzu oft, dass viele
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