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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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möchte niemanden langweilen an diesem schönen Morgen«, sagte Silberman höflich.
    »Tun Sie nicht«, erwiderte Wagner. »Sie müssen sich auch nicht wundern, wenn Dr. O'Connor mittendrin aufsteht und den Raum verlässt, um stundenlang nicht wiederzukommen. Er interessiert sich für alles auf einmal, das ist sein Dilemma. Nicht wahr, Liam?«
    O'Connor verzog das Gesicht. Wagner lachte ihn breit an. Silberman machte eine Pause und schickte einen Blick von Wagner zu O'Connor. Im selben Moment war ihr klar, dass er Bescheid wusste. Es störte sie nicht weiter.
    »Nun, es ist ganz einfach«, erklärte Silberman mit einem deutlichen Anflug von Amüsement in seinen freundlichen, breiten Zügen. »Im Innersten will der Amerikaner sein soziales Rudel. Die uneingeschränkte Anteilnahme. Wenn Sie je einen klassischen amerikanischen Western gesehen haben, wissen Sie, was ich meine. Man besucht einander auf der Nachbarranch, Enkel und Opa erzählen sich das Neueste, trinken was miteinander oder schreien sich an. Die Moral des Einzelnen ist die Moral aller und umgekehrt, jeder steckt seine Nase in jedermanns Angelegenheiten, alles ist öffentlich. Und heute? Wir hocken allein zu Hause. Unsere Nachbarn sind uns fremd. Mit wem soll man sich das Maul zerreißen? Über wen? Also suchen wir uns neue Nachbarn, Personen des öffentlichen Lebens, Schauspieler, Politiker. Die besuchen uns im Fernsehen, wann immer wir wollen, und je öfter sie das tun, desto mehr kommunizieren wir mit einer Kiste. Das Problem ist nur, wenn der Amerikaner, der so gern Anteil nimmt, seinen Fernseher anschreit, schreit der nicht zurück, und darum gibt es Menschen wie unseren Großinquisitor Kenneth Starr, die stellvertretend schreien.«
    »Na gut«, sagte Wagner. »Aber was dabei rauskommt, will sagen, was die Medien daraus machen, ist weder Politik noch Unterhaltung, es ist ein ziemlich ekelhafter Mischmasch.«
    »Natürlich ist es das. Aber auch das nur als Resultat dessen, was die Leute wollen. Fakten und Fiktion, Unterhaltung und Information, Kunst, Wissenschaft, wirkliche Kultur und Kolportage, alles fließt zu einem Brei zusammen, an dem alle widerwillig mitköcheln. Ist das in Deutschland so wesentlich anders? Natürlich lassen sich demokratische Monarchien wie England und Holland mittlerweile mit der US-Präsidentenfamilie vergleichen. Monarchie ist Boulevardthema. Wer will schon etwas über irgendeinen langweiligen Ministerpräsidenten erfahren? Die Amerikaner haben ihre Politiker eben zu Monarchen gemacht. Clintons Privatkram beliefert den Boulevardjournalismus. Dank dessen wissen wir jetzt zum Beispiel, dass unser Präsident das Peyronie'sche Leiden hat …«
    »Das was?«, fragte Wagner.
    »'ne krumm gewachsene Zigarre«, sagte Kuhn. »Andere haben einen Steifen, Clinton hat einen Schiefen.«
    »Besten Dank. Könnten Sie bitte fortfahren, Mr. Silberman?«
    »Ach, es ist kein Thema, das man beim Frühstück erörtern sollte. Ich will nur sagen, dass Medien und Volk einander einfach bedingen. Das muss nicht gut sein und sollte uns auch nicht daran hindern, uns alle zu bessern. Aber was wollen Sie? Amerika, die Moral und die Medien – vor eineinhalb Jahren hat der Papst Kuba besucht, das war nun wirklich eine ziemliche Sensation. Castro und der alte Schulmeister aus Rom. Im Zuge dessen hat sich Kuba erstmals ausländischen Medien geöffnet. Wir konnten berichten nach Herzenslust. Aber was passierte? Nach dem ersten ›live‹-Bericht von der Ankunft des Papstes erging der Ruf aus Washington, und plötzlich wurden alle Journalisten von einer Berichterstattungswelle hinweggeschwemmt, hinter der sich ein Castro und ein Wojtyla wie Randfiguren der Geschichte ausnahmen. Der Grund war, dass sich Slick Willie einen hatte blasen lassen. Selbst Anschläge auf amerikanische Botschaften mit Hunderten von Toten spielten da eine nebensächliche Rolle. Ich weiß noch, dass wir mit unserem Team gern in Kuba geblieben wären, aber man hat uns ziemlich unmissverständlich klar gemacht, dass wir dann raus wären aus der größten Geschichte aller Zeiten. Also haben wir die Zelte abgebrochen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Bürger es nicht so gewollt hätte. So viel zu den bösen Medien.«
    »Clinton hat eben ein tiefer gehendes Verhältnis zu Zigarren als Castro«, bemerkte Wagner. »Vielleicht liegt's daran.«
    »Wojtyla ist auch schon lange nicht mehr Ski gelaufen«, schob Kuhn nach. »Und vögeln tut er

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