Lavendel und Blütenstaub
Sie ließ die Schuhe fallen und setzte sich mit verschränkten Armen im Schneidersitz auf den Boden.
"In Ordnung, dann fahren wir eben nicht zum Sonntagsfrühstück zu Oma und Opa." Sie lehnte den Kopf an die Wand und begann ein Lied zu summen.
Sebastian und Marina hörten auf zu schreien und sahen ihre Mutter verwirrt an. Aurelia musste beim Anblick der überraschten Gesichter der Kinder ein Lachen unterdrücken.
"Was ist denn hier los?" Von der plötzlichen Stille alarmiert war Christopher aus der Küche gekommen. Er hielt eine Kaffeetasse in der Hand. Er wusste, dass seine Kinder beim Ankleiden gerne einen Aufstand machten, und normalerweise hörte er einen der beiden Schreihälse noch im Stiegenhaus brüllen, wenn er zur Arbeit ging. Diese plötzliche Ruhe war ungewohnt. Mit einem Blick erfasste er die Situation.
Aurelia, die immer noch auf dem Boden saß, zwinkerte ihm kurz zu.
Christopher verstand. "Na, wenn das so ist, dann bleib ich heute auch zu Hause. Was meint ihr, Kinder?", fragte er und setzte sich zu Aurelia auf den Fußboden. Sebastian und Marina sahen noch überraschter.
"Aber ... aber ...", stotterte Marina. Mit den Händen knetete sie die Ränder ihres T-Shirts und blickte ihre Eltern mit offenem Mund an.
"Wir müssen doch zu Oma und Opa", sagte Sebastian ungläubig.
"Genau!", stimmte Marina ihrem Bruder zu und nickte. Ihre Zöpfe wackelten wild über ihren Ohren. "Müssen zu Oma und Opa!"
"Aber ihr wollt euch doch nicht anziehen, also bleiben wir zu Hause", erwiderte Aurelia mit ruhiger Stimme und verschränkte die Arme.
"Doch, doch! Wir ziehen uns an!", piepste Marina, ließ sich auf ihren Hintern plumpsen und versuchte in ihre kleinen Sandalen zu schlüpfen. Sebastian tat es ihr gleich, allerdings mit mehr Geschick als seine dreijährige Schwester.
Aurelia und Christopher sahen sich lächelnd an.
"Gut gemacht, Mausi", flüsterte Christopher und küsste seine Frau auf die Wange.
"Danke." Aurelia lächelte. "Viel Spaß bei der Arbeit", fügte sie hinzu und wappnete sich innerlich für einen weiteren Tag mit ihren energiegeladenen Kindern.
Aurelia war jung Mutter geworden. Sie war gerade einmal zwanzig Jahre alt gewesen, als sie von Christopher schwanger geworden war. Obwohl sie erst wenige Monate zusammen gewesen waren, hatten sie sich gemeinsam für das Kind entschieden und sogar ein halbes Jahr nach der Geburt von Sebastian geheiratet. Sie waren füreinander bestimmt, davon waren sie überzeugt gewesen.
Das war sechs Jahre her, und immer noch war sich Aurelia sicher, damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Sie liebte Christopher noch mindestens genauso stark wie am Beginn ihrer Beziehung.
Aurelias Großeltern hatten bei der Entscheidung für das Kind und für die Beziehung zu Christopher eine maßgebliche Rolle gespielt. Schon von klein auf hatte Aurelia bewundernd auf die Ehe und die spürbare Liebe und Zuneigung von Anna und Johann aufgeblickt und immer gehofft, dass sie selbst einmal so glücklich werden würde wie Oma und Opa. So früh, so plötzlich und so lange allein sein wie ihre Oma, das wollte sie aber nicht.
Das Läuten von Christophers Handy riss Aurelia aus ihren Gedanken.
Er hob ab. "Ja? ... Was? ... Wann? ... In Ordnung, ich komme gleich nach." Mit besorgtem Gesichtsausdruck legte er auf und sah Aurelia an.
"Was ist los?"
"Das war die Zentrale. Es kam gerade ein Anruf von einer Stella Santo."
Aurelia blickte erschrocken. "Tante Stella?"
Christopher nickte. "Es dürfte etwas mit deiner Oma passiert sein. Ein Team ist schon unterwegs, ich fahre gleich nach. Ich melde mich, wenn ich etwas weiß."
Rasch küsste er seiner Frau auf die Wange, warf sich seine ärmellose Sanitäterjacke über und eilte zur Tür hinaus. Mit einem dumpfen Knall fiel sie ins Schloss.
Der sechsjährige Sebastian, der den plötzlichen Stimmungswechsel mitbekommen hatte, blickte zu seiner Mutter auf. "Was ist mit Oma?"
Aurelia strich ihrem Sohn durch die blonden Haare. "Nichts ist mit Oma, Schätzchen. Papa muss zu Uroma fahren."
"Ist sie verletzt?"
Aurelia schluckte. Ihr Hals fühlte sich plötzlich unangenehm eng an und ihr Herz klopfte wie wild. "Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass es nichts Schlimmes ist", sagte sie. Dann griff sie zum Telefon und rief ihren Vater an.
Stella
Das städtische Krankenhaus war auf einem großen Areal mit hohen, mehrstöckigen Gebäuden angesiedelt. Das Krankenzimmer, in das Anna nach der Erstversorgung gelegt wurde, war nur
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