Lavendel und Blütenstaub
starken Schmerzen. "Ach, ich weiß auch nicht so genau", winkte sie ab. "Hin und wieder schmerzt der Bauch ein wenig. Und heute habe ich wohl kurz das Bewusstsein verloren. Aber jetzt geht es mir ja wieder gut. Mach dir keine Sorgen. Bis jetzt ist es immer vergangen."
"Bis jetzt? Was meinst du damit? Seit wann hast du das?" Stella blickte skeptisch. Sie kannte ihre Mutter und wusste, dass sie mehr Schmerzen ertrug, als so manch anderer Mensch. "Und wieso hast du nie etwas zu mir gesagt?"
Anna winkte ab. "Es war nie so schlimm und ich dachte, es vergeht eh wieder."
"Und jetzt? Tut dir noch etwas weh?"
"Nein. Ich bin nur ein bisschen müde, aber ansonsten ..."
In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und ein Mann Ende fünfzig kam mit schnellen Schritten herein geeilt. "Mutter!", sagte er, Stella ignorierend. "Was machst du denn für Sachen!"
"Erwin." Anna nickte ihrem Sohn zu.
Hinter Erwin kam eine Frau in dunklem Hosenanzug und hohen Schuhen herein stolziert. Ihr braunes Haar war streng nach hinten frisiert und zu einem Dutt gedreht. Das Klack Klack ihrer Schuhe war schon von Weitem zu hören. Ihre Miene wirkte leicht besorgt, konnte aber auch als genervt gedeutet werden.
"Anna, was mussten wir hören!", sagte sie leicht nasal in geschäftlichem Ton. "Aurelia hat uns angerufen, wir sind sofort hierher gefahren. Bei diesem Verkehr ging es aber nicht schneller." Diesen Worten folgte ein mitleidiger Blick, den Stella genervt zur Kenntnis nahm.
"Aber jetzt sind wir da, Mutter." Erwin ging auf die andere Seite des Bettes und nahm Annas Hand. "Du machst ja Sachen. Wie geht es dir denn? Weiß man schon, warum du einen Schwächeanfall hattest?"
"Ich hatte keinen Schwächeanfall. Ich hatte Schmerzen und wurde bewusstlos", erklärte Anna bestimmt. Ihre Stimme klang kräftiger, als sie sich fühlte.
"Warum denn das? Wieso hattest du Schmerzen?" Erwin sah erstaunt auf seine Mutter und dann zu seiner Frau, als ob diese die Antwort wüsste. Gabriela zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht, aber es wird schon nichts Schlimmes sein. So schnell haut eure Mutter nichts um." Anna versuchte ein fröhliches Lächeln aufzusetzen.
Während Erwin und Gabriela mit dieser Antwort zufrieden schienen, beobachtete Stella ihre Mutter besorgt. Die Mutter-Tochter-Beziehung war schon von klein auf sehr innig, und so spürte Stella, dass ihre Mutter nicht die Wahrheit sagte.
Doch was verbarg sie? Warum gaukelte sie etwas vor, wenn es ihr in Wahrheit nicht gut ging?
Dr. Werneck
Er war Arzt geworden, weil er Menschen helfen wollte, doch hätte er gewusst, wie anstrengend und kräfteraubend dieser Beruf ist, hätte er es sich vielleicht noch einmal überlegt. Hätte der Tag sechsunddreißig Stunden, dann würde er auch solche Schichten machen müssen, dessen war er sich sicher. Er seufzte und wappnete sich innerlich für die nächste Patientin. Eine gewisse Frau Anna Lukas, wie er mit einem Blick auf seine Unterlagen feststellte.
Dr. Werneck öffnete leise die Tür zu Zimmer 504. Den ganzen Tag schon war er mit Untersuchungen, Visiten und Gesprächen eingedeckt gewesen. Was nun kommen würde, würde das Schwierigste des Tages werden. Eine Diagnose zu stellen war nicht immer leicht, aber eine eindeutige Diagnose einem Patienten und dessen Angehörigen zu übermitteln, war auch nach mehr als zwanzig Jahren Berufserfahrung eine Herausforderung.
Er hielt nichts davon, den Patienten etwas vorzulügen. War die Hoffnung auf Heilung vorhanden, so tat er sein Bestes, um diese Hoffnung auch aufrecht zu erhalten. War die Chance jedoch verschwindend gering, oder gar unmöglich, dann war er auch so ehrlich und sagte dies. Die Patienten hatten schließlich das Recht zu wissen, wie es um sie stand. Zudem hatte Dr. Werneck die Erfahrung gemacht, dass die Patienten ihm mehr vertrauten, wenn er von Anfang an ehrlich zu ihnen war.
Mit dem Klemmbrett und der Akte von Frau Lukas in der Hand ging er leise in das Zimmer.
"Guten Tag. Dr. Werneck. Ich bin der Internist."
Drei Personen standen um das Bett der Patientin, die mit blassen Gesichtszügen und weißen kurzen Haaren im Bett lag. Alle sahen ihn mit ernstem Gesichtsausdruck an und grüßten.
Dr. Werneck widmete sich der Patientin. "Frau Lukas, wie geht es Ihnen?"
"Danke, Herr Doktor. Es geht, es geht."
Er wandte sich einer auffallend hübschen, blonden Frau zu. "Sie sind die Tochter?"
Stella nickte. "Ja, Stella Santo."
"Und ich bin der Sohn", mischte sich Erwin mit tiefer
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