Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg (German Edition)
etwas zu tun, liegt das normalerweise daran, dass ich es nicht gut kann, oder mich nicht mal traue, es überhaupt auszuprobieren. Nachdem ich über vier Jahre bei Google gearbeitet und dort weit über die Hälfte der Erlöse des Unternehmens verwaltet hatte, war es mir peinlich zuzugeben, dass ich noch nie einen Geschäftsabschluss verhandelt hatte. Keinen einzigen. Also nahm ich meinen Mut zusammen und machte reinen Tisch mit meinem Chef, Omid Kordestani, damals Vertriebschef und Chef der Unternehmensentwicklung. Omid gab mir die Gelegenheit, ein kleines Geschäftsabschluss-Team anzuführen. Den allerersten Deal, an dem ich mich versuchte, hätte ich beinahe komplett vermasselt. Ich unterbreitete unserem potentiellen Partner ein Angebot, bevor ich dessen Geschäftsfeld in Gänze verstanden hatte. Zum Glück befand sich in meinem Team ein talentierter Verhandlungsführer, Shailesh Rao, der eingriff und mir das Offensichtliche beibrachte: Die andere Seite das erste Angebot machen zu lassen ist oft entscheidend, um günstige Konditionen zu erzielen.
Jeder kann sich noch verbessern. Die meisten Menschen haben einen Arbeitsstil, mit dem sie in einer Richtung über das Ziel hinaus schießen – zu aggressiv oder zu passiv, zu gesprächig oder zu schüchtern. Bei diesem ersten Geschäftsabschluss redete ich zu viel. Das war für jeden, der mich kennt, keine große Überraschung. Nachdem ich diese Schwäche erkannt hatte, suchte ich mir Hilfe, um daran zu arbeiten. Ich wandte mich an Maureen Taylor, die als Coach für Kommunikation tätig ist. Sie gab mir Hausaufgaben auf. Eine Woche lang musste ich meine Meinung für mich behalten, es sei denn, jemand bat mich darum. Das war eine der längsten Wochen meines Lebens. Hätte ich mir jedes Mal auf die Zunge gebissen, wenn ich drauf und dran war, meine Meinung kundzutun, hätte ich jetzt keine Zunge mehr.
Der Versuch der »Überkorrektur« ist eine großartige Möglichkeit, um den goldenen Mittelweg zu finden. Für die richtige Dosierung von Redebeiträgen in Meetings muss ich das Gefühl haben, sehr wenig zu sagen. Schüchterne Menschen müssen den Eindruck haben, dass sie viel zu viel reden. Ich kenne eine Frau, die von Natur aus leise spricht und sich zwingt, in geschäftlichen Besprechungen zu »schreien«, damit sie in durchschnittlicher Lautstärke spricht. Sich über seine natürlichen Neigungen hinwegzusetzen ist sehr schwer. In all den Jahren meiner Bemühungen kann ich mich nur an einige wenige Gelegenheiten erinnern, bei denen jemand zu mir meinte: »Sheryl, ich hätte es gut gefunden, wenn du in dieser Besprechung mehr gesagt hättest.« Omid hat das einmal getan und ich bin ihm um den Hals gefallen.
Wie sich herausstellte, hatte Eric mit Google absolut recht. Ich werde ihm, Larry Page und Sergey Brin immer dankbar dafür sein, dass sie es mit mir probiert haben. Aus meinem Achtzehnmonatsplan im Unternehmen wurden sechseinhalb Jahre, und bei der Arbeit mit echten Visionären habe ich mehr gelernt, als ich je zu hoffen gewagt hätte. Doch irgendwann spürte ich, dass es an der Zeit war, mich auf dem Klettergerüst zu bewegen.
In meinem Privatleben mag ich nicht gerade das Ungewisse. Ich schätze es, wenn alles seine Ordnung hat. Ich hefte Dokumente in farbigen Ordnern ab (ja, immer noch) und der Enthusiasmus, mit dem ich meinen Kleiderschrank aufräume, verblüfft Dave stets aufs Neue. In meinem Berufsleben habe ich jedoch gelernt, Unsicherheit zu akzeptieren und sogar zu begrüßen. Risiko – und eine große Portion Glück – hat mich zu Google geführt. Das hat so gut funktioniert, dass ich mich erneut für das Risiko entschied und dadurch zu Facebook geführt wurde. Zu der Zeit waren andere Unternehmen bereit, mich als CEO einzustellen, doch ich ging als COO zu Facebook. Anfangs fragten die Leute, warum ich eine Stelle auf »niedrigerer Ebene« annahm und für einen Dreiundzwanzigjährigen arbeitete. Heute fragt mich das niemand mehr. Genau wie seinerzeit, als ich zu Google ging, waren mir das Potential für schnelles Wachstum und die Mission des Unternehmens wichtiger als meine Jobbezeichnung.
Ich habe Männer wie Frauen großartige Gelegenheiten vertun sehen, weil sie zu sehr auf Hierarchieebenen geschaut haben. Eine Freundin von mir war seit vier Jahren als Anwältin tätig, als sie merkte, dass sie lieber im Vertrieb oder im Marketing für ein Unternehmen arbeiten würde, als Partnerin in einer Kanzlei zu werden. Einer ihrer Mandanten war gewillt, sie
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