Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg (German Edition)
Es ist ein Klettergerüst, keine Leiter
Ungefähr einen Monat nach meinem Einstieg bei Facebook erhielt ich einen Anruf von Lori Goler, einer hochgeschätzten Marketing-Managerin bei eBay. Ich kannte Lori flüchtig aus privaten Zusammenhängen, doch sie machte deutlich, dass dies ein beruflicher Anruf war und kam sofort zur Sache. »Ich will mich bewerben, um gemeinsam mit Ihnen bei Facebook zu arbeiten«, sagte sie. »Deswegen habe ich erst überlegt, Sie anzurufen und Ihnen zu erzählen, was ich alles gut kann und gerne mache. Aber dann dachte ich mir, das machen alle. Und deshalb will ich Sie stattdessen fragen: Was ist Ihr größtes Problem, und wie kann ich es lösen?«
Mir fiel die Kinnlade herunter. Während des letzten Jahrzehnts hatte ich Tausende von Leuten eingestellt und niemand hatte auch nur etwas annähernd Vergleichbares gesagt. Normalerweise wollen die Leute die richtige Aufgabe für sich selbst finden, wobei sie natürlich davon ausgehen, dass ihre Fähigkeiten dem Unternehmen nutzen werden. Lori hingegen stellte die Bedürfnisse von Facebook in den Mittelpunkt. Diese Herangehensweise war unschlagbar. Ich antwortete: »Mein größtes Problem ist das Anwerben von Personal. Und ja, Sie können es lösen.«
Lori hätte nie gedacht, dass sie eines Tages in der Personalabteilung arbeiten würde, doch sie packte die Gelegenheit beim Schopfe. Da sie in diesem Bereich neu war, stimmte sie sogar zu, eine Ebene weiter unten einzusteigen und ihren Platz in der Hierarchie gegen neue Qualifikationen einzutauschen. Als Leiterin der Personalgewinnung leistete Lori hervorragende Arbeit. Binnen Monaten wurde sie auf ihren jetzigen Posten befördert, wo sie nun People@Facebook leitet. Als ich sie kürzlich fragte, ob sie eines Tages zurück ins Marketing wolle, antwortete sie, sie glaube, als Personalerin insgesamt mehr bewirken zu können.
Die geläufigste Metapher für Karrieren ist eine Leiter, doch dieses Konzept passt für die meisten Arbeitnehmer schlicht nicht mehr. Laut Daten aus dem Jahr 2010 hat der durchschnittliche Amerikaner alleine zwischen seinem achtzehnten und siebenundvierzigsten Lebensjahr an elf Arbeitsplätzen gearbeitet. 1 Lang vorbei sind die Zeiten, in denen man in einer Organisation oder in einem Unternehmen anfängt und dann diese eine Leiter Stück für Stück hochklettert. Lori zitiert häufig Pattie Sellers, die ein wesentlich besseres Bild gefunden hat: »Karrieren sind Klettergerüste, keine Leitern.«
Lori meint, dass Leitern begrenzen: Leute können hoch oder runter klettern, oder absteigen. Auf Klettergerüsten dagegen sind kreativere Erkundungstouren möglich. Es gibt nur einen einzigen Weg an die Spitze einer Leiter, aber viele Wege zum oberen Ende eines Klettergerüsts. Vom Modell des Klettergerüsts haben alle etwas, insbesondere aber Frauen, die vielleicht gerade ins Berufsleben einsteigen, den Job wechseln, durch äußere Barrieren behindert werden oder nach einer Pause zurückkehren. Ein einzigartiger Weg mit gelegentlichen Abwärtsbewegungen, Umwegen und durchaus auch Sackgassen hält wesentlich größere Chancen auf Erfüllung parat als eine unbewegliche Leiter. Abgesehen davon können von einem Klettergerüst aus viele Menschen die Aussicht genießen, nicht nur die an der Spitze. Auf einer Leiter hängen die meisten Kletterer fest und starren auf das Hinterteil der Person über ihnen.
Eine Kletterpartie auf einem Klettergerüst ist die beste Beschreibung für meine Karriere. Jüngere Kollegen und Studenten fragen mich oft, wie ich meinen Werdegang geplant habe. Wenn ich sage: gar nicht, reagieren sie üblicherweise mit Erstaunen, gefolgt von Erleichterung. Dass man nicht von Anfang an ein Bild seiner Karriere vor Augen haben muss, scheint ihnen Mut zu machen. Besonders tröstlich ist das auf einem schwierigen Arbeitsmarkt, auf dem Stellensuchende oft gezwungen sind, das anzunehmen, was ihnen angeboten wird – und dann hoffen müssen, dass es sie in eine gute Richtung führt. Wir alle wollen einen Job, der uns wirklich Spaß macht und für den wir uns gerne engagieren. Die Suche danach erfordert ebenso viel Zielstrebigkeit wie Flexibilität, weswegen ich empfehle, zwei Ziele parallel zu verfolgen: einen langfristigen Traum und einen Achtzehnmonatsplan.
Beim Einstieg ins Berufsleben hätte ich niemals vorausahnen können, dass mein Weg mich dorthin führen würde, wo ich heute bin. Zum einen war Mark Zuckerberg gerade einmal sieben Jahre alt, als ich das College
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