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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Bartmann
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also wäre es vielleicht noch blöder, nichts zu präsentieren. Der Überdruss an PowerPoint ist groß, aber ohne PowerPoint geht es auch nicht. Die üblichen Textfolien mit den Bullet Points, die dann in gemäßigt freier Rede umspielt, letztlich aber wiederholt werden, sind out; in ist entweder gar keine PPP oder aber die freihändige Version, in der die Zuhörer mit Bild- und Textmaterial überrascht werden, das ersichtlich nur nonlinear und lose mit dem Kommentartext verknüpft ist. PowerPoint ist blöd, macht dumm und formatiert die Gedanken entlang einem Industriestandard vor, sagt uns der Kollege, ehe er seine PowerPoint-Präsentation startet, die dann weitgehend dem Industriestandard folgt.
    Und wir hören noch eine Weile zu und schauen auf die Folien, die virtuos auf- und abgeblendet werden (besonders gefällt uns das sukzessive Aufrufen der Bullet Points; genau so haben einst unsere Lehrer mit dem Tageslichtprojektor gespielt). Und was wir auch noch merken, ist unsere fortschreitende und unaufhaltsame Dekonzentration. Warum wären wir in der Lage, einem mündlichen Vortrag in freier Rede möglicherweise sogar gebannt zu lauschen, und warum macht uns diese Art der Visualisierung, ja das Prinzip Visualisierung und Präsentation als solches, derart müde? Es muss damit zu tun haben, dass die Präsentation die Spur der individuellen und interessanten Rede fast komplett tilgt – unter PPP reden alle gleich, und fast alle haben sich angewöhnt, ihre Reden an erwartbaren Stellen mit Scherzen oder einem lustigen Bild zu würzen. PPP hat die freie Rede ersetzt, eine frohe Botschaft für all diejenigen, denen die freie Rede immer schon ein Greuel war. Die PPP-Prothese trägt jeden durchs Präsentationsmenü und löst gewiss bei keinem Präsentator mehr Handschweiß aus – nur mit dem Nebeneffekt, das wir halb vor uns hin dösen oder mit dem Abfassen von Mails auf unseren Taschencomputern beschäftigt sind.
    Die durchschnittliche Sitzung setzt sich etwa zur Hälfte aus Präsentation und Diskussion zusammen und etwa im Verhältnis von 90 zu 10 Prozent aus Berieselung und Eigenaktivität. Die Sitzung – und noch hat die Berater-Idee der partizipativen, der eigenaktiven und sportlichen Steh-Sitzung daran nichts geändert – ist für uns eine Art Geiselnahme am helllichten Tage und mit den besten Absichten, die uns unweigerlich in eine Welt des Dämmers und der Gedankenflucht versetzt. So ähnlich muss man sich in einer Zelle fühlen, in einer Mönchszelle (aber da kann man wenigstens die Bibel lesen) oder einer Gefängniszelle (aber da kann man wenigstens Hanteltraining machen). Natürlich, man kann aus dem Fenster schauen, aber davon wird es auch nicht besser. Wir wollen ja arbeiten, wir haben, wenigstens in Resten, noch eine heroische Vision und wollen vor dem Mittagessen noch ein, zwei Deadlines abwenden und auch sonst den Nutzen unseres Hauses mehren und den Schaden mindern. Aber jetzt stecken wir hier gerade völlig postheroisch fest und könnten uns allenfalls mit dem Hinweis auf unsere drängenden Anschlusstermine verfrüht aus der Sitzung verabschieden. Immer gibt es den Abzweig zwischen »die Dinge, an denen man eh nichts ändern kann, laufen lassen« oder »ihnen doch noch einen konstruktiven Dreh geben wollen«, und man weiß nie, welche Tendenz diesmal in einem obsiegen wird.
    Eines ist klar: wir können hier nicht einfach sitzen und schweigen. Selbst dann nicht, wenn wir zum Thema nichts wirklich Wegweisendes beizutragen haben. Insofern ist das Büro ein politischer und öffentlicher Raum: es wird in ihm ein ewiger Kampf um Redeanteile und Aufmerksamkeit ausgetragen. Leicht wäre es, wenn mein Schweigen heute so beredt wäre, dass es von irgendwem als Meinungsäußerung vernommen würde. Weil es aber so nicht ist, muss ich reden, das heißt: widersprechen, bestätigen, unterstreichen, zu bedenken geben, an dieser Stelle einwenden, noch auf einen Punkt hinweisen, »ganz bei Ihnen, Frau X.« sein, noch mal »nachhaken«, weil mir das »gerade zu schnell« ging, davor warnen, dass wir »es uns hier zu einfach« machen, dass wir doch nicht »das Rad neu erfinden« sollten und so weiter. Ich werde diese Sitzung nicht verlassen, ohne dass mein Name »aktiv« im Protokoll auftaucht. Ich werde Entscheidungen nicht einfach »abnicken«, sondern

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