Leben im Buero
seiner Wirksamkeit offenbar überschritten hat. Wir kennen es ja, wenn Kollegen sagen, sie kämen »heute nicht rein«, und ahnen dann, dass sie wegen, wie es heiÃt, »Arbeitsverdichtung« zu Hause bleiben, wo sie an visionären Denkpapieren schreiben, mit denen sie uns beim nächsten Wiedersehen die Schau stehlen werden. Gleichwie, die Arbeit muss getan werden, und weil sie »auf der Arbeit« nicht wirklich getan werden kann, ragt sie immer weiter vor in die ehemalige Freizeit, in die sogenannte Privatsphäre. Was mich angeht, so bin ich, ungern gebe ich es zu, ein Früheintreffer, eine Neigung, aus der sich keinerlei symbolisches Kapital schlagen lässt â cool ist hingegen, wer gegen 10 Uhr auftaucht und dann schon mal, aber bestimmt nicht regelmäÃig, bis 20 Uhr oder länger bleibt und dabei gesehen wird (was nicht immer leicht einzurichten ist). Als cool galten früher auch die Kollegen, die sich am Wochenende Einlass ins Büro verschafften, wo sie ganze Tage verbrachten und ungeheure Zeitüberschüsse erwirtschafteten. Jetzt erwecken sie eher den ungünstigen Eindruck, sie hätten daheim keinen Computer stehen.
Was steht heute an, was verkündet mir mein Outlook-Kalender? Und was ist wirklich zu tun, vor oder hinter der Terminfassade? Es gibt ja keinen Chef mehr, der mir sagt, was ich heute tun soll. An die Stelle der Befehlsausgabe ist die Zielvereinbarung getreten. Da diese nur einmal im Jahr stattfindet, kann ich mir die Zeit zwischen den Jahresgesprächen relativ selbständig einteilen. Ich kann nicht behaupten, ich lebte in der Furcht des Herrn. Wenn ich dennoch weiter, altmodisch gesprochen, meine Pflicht tue, dann entweder deshalb, weil ich mich erfolgreich selbst steuere oder weil der ehemalige Herr nunmehr mein Tun indirekt, über Vereinbarungen und Verträge, lenkt. Geführt wird über Ziele und deren Erreichung; ansonsten lässt uns der Arbeitgeber freie Hand. Das hört sich fast so an, als gewährte uns der Arbeitgeber einen Vertrauensvorschuss. Schluss also mit der alten und vielfach beklagten »Misstrauensverwaltung«?
So ganz vertraut der Arbeitgeber seinem Vertrauen in uns dann doch nicht, oder er darf es nicht, weil ihm natürlich die Kontrollinstanzen, die Rechnungsprüfer und Rechnungshöfe und zuletzt der Steuerzahler im Nacken sitzen. Also gibt es immer neue Kosten-Leistungs-Rechnungen und eine erfinderische Zeitbuchung, in der die Arbeitnehmer über die Taten ihrer Tage Buch führen. Was aber sollen wir dort verbuchen, wenn wir doch vor allem Kommunikationen produzieren? Genau, die Kommunikationen sind zu verbuchen, entweder als interne oder externe. Auf diese Weise wird unser Tun durchsichtig für die internen und externen Kontrolleure. Laufend erzeugen wir Evidenzen, echte oder auch nur scheinbare, laufend tun wir Berichts- und Nachweispflichten Genüge, und manchmal machen wir uns halb im Spaà eine eigene Statistik, aus der hervorgeht, wie viel Prozent unserer Arbeitszeit wir mit der Darstellung unserer Arbeit verbringen.
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10:00 Uhr. Sitzung des Lenkungsausschusses. Gegen Sitzungen und Lenkungsausschüsse ist nichts einzuwenden, wenn wir anerkennen, dass es offene Fragen gibt, die nur von einer Gruppe der Klärung nähergebracht werden können. In der Regel treffen aber in solchen Sitzungen Experten auf Nicht-Experten und weit gediehene (Vor-)Entscheidungen auf die relative Ahnungslosigkeit der anderen. Solche Sitzungen dienen vor allem dazu, einen Konsens zu generieren, an dessen gedanklicher Vorbereitung nur der eine Teil des Publikums Anteil hatte. Wie auch immer, wir sind offen, wir sind lernwillig, wir vertiefen uns bei Bedarf in gleich welche Materie und sind im Handumdrehen sprechfähig, wie es immer heiÃt. Und dann hat schon jemand einen Laptop und den Beamer hingestellt und präsentiert zunächst einmal den Stand des Projekts â denn es gibt nichts im Büro, was nicht Projekt sein könnte. Und wer Projekt sagt, der sagt auch Projektmanagement, Projektleitung, Projektfortschritt, ganz so, als sollte hier mindestens ein weiterer Tunnel unter dem Ãrmelkanal gegraben werden. Auch hier sind wir wieder unter Office, aber nun regiert statt Outlook PowerPoint. Inzwischen gehört es zum guten Ton einer PowerPoint-Präsentation, eingangs zu bemerken, dass PowerPoint eigentlich blöd sei, aber nun hat man ja die PPP vorbereitet und den Stick mitgebracht,
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