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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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unter Fingerzeigen auf die jungen Menschen etwas erklärte. Dem folgte postalische Auskunft, der Übersetzung folgte. Unschwer zu raten, was geschah. Die Jungen brauchten einen Service, musstenetwas ausfüllen, wurden unterwiesen, wie und wo. Weil sie unter anderen Postwertzeichen aufgewachsen waren, hatten sie viele Fragen. Jeder eine, die übersetzt und übersetzt beantwortet wurde.
    Ja, das konnte dauern, nur machte es mir nichts, weil ich bald am Ziel sein würde. Meinem Hintermann machte es viel. Im Augenblick, in dem ich mich von ihm löste, weil ich an der Reihe war, hörte ich sein Stöhnen, das von starkem Schniefen begleitet wurde. Beide Laute galten dem Auflauf rechts und dem Haufen links, und mir galten sie nicht, aber mir war ihre besondere Tönung bekannt, die zugleich etwas von Banjo dem Hund und, falls das geht, von einem stummen Doktor hatte.
    Ich konnte mich dem leidenden Mann nicht widmen, weil die Servicefrau hinterm Tresen auf meine leeren Hände sah und von mir Wünsche erwartete. Es gehe, sagte ich, um die Beförderung meines eben aufgelieferten Packens in eine Beförderungsklasse, zu der eine genauere Quittungsart als jene gehöre, die ich erhalten habe. Vielleicht so ein Konnossement wie im Seefrachtverkehr üblich. Kurz, ich bäte um einen Erkennungsschein, der mir im Fall der Fälle Ärger erspare.
    Der Blick der Schalterfrau besagte, hier sei keine Reederei. Ich ließ ihn ungesehen und beschrieb die Sendung, die zugleich Hinnerks und meine war. Breit und hoch, doch nicht halb so dick wie früher die Schulranzen. Schockgelb und so wichtig wie gewichtig. – Ich verkürze, was folgte. Der nächste Blick, den ich bekam, sprach von Generationen zwischen unser beider Schulranzenzeiten; dann erfuhr ich, einmal aufgegebenes Gut sei aus dem Container kaum rückholbar. Das wusste ich nicht und wusste auch nicht, wie wenig sich der Umsatz meinesPostamts vom Umsatz des Postamts von New York City unterschied. Von Unwissen und nunmehrigem Wissen gebannt, verharrte ich aber.
    Mit einem Seufzer, der zum Schniefen des Mannes jenseits der Datenschutzzone passte, begann eine Suche, die am Ende erfolgreich war. Zeit verging, doch verging sie mir schnell, weil ich sie zu Überlegungen nutzte: Sollte ich den Menschen, dem ich dank seines und auch meines Leids mehrmals begegnete, ansprechen und zuerst nach Banjo fragen oder gleich nach Literatur zur Gicht? Oder nach seinem Betragen in der Praxis, das ich besser nicht Gehabe nennte? Nahm er mir übel, was ihm peinlich war? Hasste er mich aus den bekannten Gründen? Hatte uns etwas verbunden, das uns nun trennte? Tat er damals im Zirkel schreibender Ärzte mit, doch hatte es nicht für den Poetenverband gereicht? Kannte er Freunde von mir und so meine Geschichte von ihm und seinem Hund? War er dem Zeichner H. begegnet? Oder Jason P., dessen Sprung im Tellerrand ich durch Hinnerk kannte? Oder Wilhelm T.? Sollte ich es melancholisch angehen und sagen, das Leben funke dem Leben immer dazwischen? Und, mit Blick auf die Warterei, auch ein Bruchteil der Ewigkeit dauere eine Ewigkeit? Konnte ich ihm polithistorisch kommen? Mit Brüderle & Westerle & Kasperle und knäbischem Knoppzeug? Mit Präsidenten, die gegangen oder denen wir gerade so entgangen waren? Wären Grundfragen angezeigt? War Merkel eine Frauenfrage? Und das Rentenalter eine der Zeit? Wo stand er kulturell? Und wie zu Manierismus und Sütterlin? Hegte er literarische Präferenzen? Immer noch Tschechow, oder hatte sich nach zwanzig Jahren Konsalik zu ihm durchgefressen?
    Just als noch andere Namen in mir aufkamen, trug die Versandgehilfin den prallhochgelben Packen herbei, fragte, ob er das Gesuchte sei, ersuchte um Zuzahlung und ließ mich diesmal den Beleg selber ziehen. Auch klang das ü in ihrem Tschüss nur noch verhalten. Unmatt hingegen und sehr schniefend führte sich mein Nachfolger auf. Wäre ich nicht zur Seite gewichen, hätte er mich beim Sprung über den Intimbereichsstrich in die Theke gerammt.
    Also ließ ich ihn und den Gichtbrief sein und fuhr nach P., um für Hinnerk diese Geschichte aufzuschreiben. Manierlich lud ich ihn zum nahen zwanzigsten der Dritter-Oktober-Feste ein. Welchen Grund ich sähe, das dröhnende Datum zu feiern? Immerhin, gesetzt, wir gingen von vierzig Jahren Verweildauer aus, wäre die Hälfte dann um.

Textnachweis
    »Krönungstag«, »Mitten im kalten Winter«, »Gold« – Aus: H. K., »Ein bißchen Südsee«, Rütten & Loening, Berlin 1962.
    »Lebenslauf, zweiter

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