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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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nicht. Nicht wahr, Jockei?«
    Jockei war mit einer Schickse gekommen, die zwar nicht zu seinem Alter passte, dafür aber seinem silbernen Porsche Carrera gut stand. Er war ein fleischiger Mann Ende sechzig und so bedeutend, dass er es sich leisten konnte, die Erklärung seiner Existenz anderen zu übe r lassen. Jockeis Schickse hieß, genuschelt, Schüssi.
    Bei Tisch hatten wir es vom viel zu warmen Frühling, von Gunters Meniskus und Jockeis Tachykardie. Viola Maucher steuerte Rheuma bei. Nuschel-Schüssi bewac h te solange ihren Lippenstift und fingierte ein Lächeln. Seit neuestem neigten sich Tischgespräche viel zu schnell allerlei Krankheiten zu. Der andere Part gehörte den He l dentaten in der Welt von Nepp und Schnäppchen.
    »Heute früh gestochen!«, erklärte Gunter mit großen Gesten, als Viola den Spargel auftrug. Er war am Morgen extra nach Stuttgart hinuntergefahren, um bei Feinkost Böhm mit eigenen Augen den Spargel auszusuchen. »Man hätte ihn sich auch schälen lassen können, aber als ich die Vierkanthölzchen sah, die dabei rauskamen, da habe ich gedacht, das kann meine Viola besser.«
    Schüssi lachte sinnentleert. Sie war intensiv damit be schäftigt, sich im Gravitationsfeld der drei männlichen Mächte am Tisch zu justieren: Gunter Maucher, der Schwätzer, Jockei, ihr Schmuckspender, und meiner, Dr. Richard Weber, Oberstaatsanwalt, geschmeidig und wortkarg: eine unbekannte Größe von starker Anzi e hungskraft.
    »Eigentlich mag ich keinen Spargel«, verkündete sie mit Glosslippen. »Ich kann den Geruch nicht leiden. Ich meine, hinterher.« Sie lachte springbusig und glitzerte Richard an, der seine Gedanken unweigerlich dem z u wandte, was auf dem stillen Örtchen zwischen Schüssis Schamlippen hervorkam.
    »Also, ich verstehe die Aufregung in den Medien nicht«, sagte Gunter. »Auf dem Mount Everest sterben jedes Jahr fast zweihundert Menschen. Das ist eine Tode s rate von acht Prozent. Vom Gasherbrum II kommt nur jeder Zweite lebend wieder runter! In der Raumfahrt liegt die Todesrate dagegen bei nur zwei Prozent. Doch kaum stirbt da oben einer, stellen die Medien die ganze Rau m fahrt in Frage. Torstens Tod ist tragisch, gewiss! Beso n ders für mich. Mein Gott, der Torti und ich, wir sind doch zusammen in Wangen im Allgäu auf die Schule gegangen. Er hat immer Astronaut werden wollen. Er kannte das Risiko.«
    »Und seine Frau und die Kinder, wer hat die g e fragt?«, fragte Viola anklagend. »Er hinterlässt drei Ki n der!«
    »Die Familie ist versorgt«, brummte Jockei fleischig. »Wir haben eine Stiftung für so was.«
    »Geld ist nicht alles!«
    »Aber nur mit Geld kann man Probleme lösen!«, brummte Jockei.
    Schüssi lachte und warf mir einen Komplizinnenblick zu, denn immerhin steckte mir ein Einkaräter im Oh r läppchen, was mich markierte als eines Mannes Kurtis a ne. Den teuersten Schmuck trug allerdings Viola. Sie gehörte zu den Damen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatten, basisch zu leben, glutenfrei und link s drehend zu essen und das Leid anderer in Anklagen zu verwandeln.
    »Und niemand will sagen, woran er wirklich gestorben ist.« Viola bündelte für Richard vorwurfsvoll die Spar ge l stangen. »Die arme Susanne. Wie früher: gefallen auf dem Feld der Ehre. Mehr sagt man ihr nicht. Da geht es schließlich um ein Millionengeschäft.«
    Richard schob seinen Teller unter das tropfende G e müse.
    »Milliarden!«, korrigierte Gunter im Reflex eing e spielter ehelicher Überlegenheitsscharmützel. »Das ve r wechselt Viola immer.« Er lachte. »Nicht wahr, Schätz e l chen?«
    Schätzelchen sch osse n die Raketen über Richards Te l ler hinaus. »Oh, Verzeihung!«
    »Nix passiert.« Seinen cognacfarbenen Anzug hatte Richard samt seiner Person aus der Schussbahn nehmen können. Gegen allen Anstand klaubte er mit den Fingern eine dampfende Stange vom Platzdeckchen auf seinen Teller. Ein Torpedo hatte den Tisch verlassen und war Cipión vor die bärtige Schnauze gefallen. Der Dackel schnüffelte angewidert.
    »Lass liegen, Richard!«, rief die Hausherrin, doch er hatte sich bereits gebückt. Am ausgestreckten Arm trug Viola die Spargelstange auf ihrem Teller in die Küche.
    »Die Sauce Hollandaise ist doch selbstgemacht?«, er kundigte ich mich und schnüffelte unerzogen über die Sauciere nach dem, was bei mir zu allergischen Schocks führen mochte. Mein eigenes Leben war mir doch näher als das des Astronauten, der vor vier Wochen tot durch die Nachrichtensendungen

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