Lehmann, Christine
nach einer kurzen Ampellichtung in den Hesla cher Tunnel überging.
»Wenn man Gunter und Jockei reden hört«, bemerkte ich, »dann scheint mir das eher unwahrscheinlich. Ich sage nur Helium-3.«
»Man muss das Zeug erst einmal haben, Lisa. Helium- 3-Atome werden vom Sonnenwind auf den Mond gebl a sen und von Meteoriteneinschlägen unter den Mondstaub gerührt. Helium ist ein Edelgas. Es lagert als Gasbl ä schen im Mondstaub. Aber keiner weiß so genau, wie tief, wie viel.«
»Und was ist da faul am Tod von Torsten Veith?«, fragte ich.
»Er ist bei einem Mondspaziergang verunfallt. Sein Anzug war beschädigt. So was kann passieren.« Richard bremste an der Ampel im Tunnelausgang zum Marie n platz.
»So was darf aber nicht passieren, oder?«
»Ein Astronaut darf auch niemals alleine einen Au ße n einsatz unternehmen.«
»Und warum ist er alleine raus?«
»Das weiß niemand.«
»Und was hast du damit zu tun?«
»Nichts.«
»Und warum waren wir dann heute bei Gunter Ma u cher zum Essen eingeladen?«
»Die Mauchers sind eine alte oberschwäbische Tüft le r familie.« Richard rettete sich ins Regionale. »Gunters Großvater hat vor dem Krieg in Wangen im Allgäu Wohnwagen gebaut und dann bei Waldner in Wangen Labortechnik für Schulen. Gunters Großonkel war in Friedrichshafen am Zeppelinbau beteiligt. Aus seiner Fabrik ist die SSF hervorgegangen, der bedeutsamste Produzent für Druck- und Vakuumtechnologien und Su p ra leiter, die man für Fusionsreaktoren braucht. Vor zehn Jahren hat Gunter die Geschäftsführung der SSF übernommen. Den Raumfahrtbahnhof Friedrichshafen ve r danken wir seiner Initiative.«
»Verstehe. Er ist ein potenzieller Steuerbetrüger.«
Der Staatsanwalt warf mir einen schnellen Blick zu. »Die SSF gehört seit einigen Jahren zum französischen Konzern TSE, Technique Spatiale de l ’ Europe, Gro ß ro boter für den Abbau von Bodenschätzen, Tiefenbohrer, Kräne. Torsten Veith war bei der SSF/TSE Ingenieur für Verfahrenstechniken.«
»Dann war es Mord!«
»Das ist entschieden eine Nummer zu groß für dich, Lisa!«
Wir rollten unter dem Österreichischen Platz hindurch. Gleich dahinter stoppte uns auf der Stadtautobahn die Fußgängerampel zwischen Leonhardskirche und Schw a benzentrum. Fußgänger gab es allerdings keine mehr. Die hatten längst bei Rot ihr Leben auf den sechs Spuren riskiert.
»Wer wäre denn zuständig bei Mord auf dem Mond?«, erkundigte ich mich.
»Oh, das ist kompliziert«, sprach der Jurist wiederum vergnügt. »Das hängt von vielerlei ab.«
»Wovon zum Beispiel?«
»Zunächst davon, wo der Mord geschehen ist. Die Artemis besteht aus Modulen von Russland, den USA, Japan und Europa. Entsprechend wären die USA, E u ro pa, Japan oder Russland zuständig für die Ermittlu n gen.«
»Und wenn er außerhalb der Artemis geschehen ist?«
»Dann stellt sich die Frage, zu welcher Nation der T o te gehörte.«
»Tosten Veith war Deutscher.«
»In diesem Fall wäre Europa zuständig. Aber auch das ist nicht so einfach. Man stelle sich vor, als Täter würde ein US-Bürger ermittelt. Wer arretiert ihn dann? Und wer ordnet das an? Der Kommandant oder das Bodenkon trol l zentrum. Und wie und unter welchen Haftbedingu n gen wird er festgesetzt? Und nehmen wir an, der Ve r dächtige bestreitet die Tat. Welches nationale Strafrecht gilt dann für die Beweisaufnahme? An welches Gericht muss er überstellt werden? An ein europäisches oder amerikan i sches. In den USA gilt die Todesstrafe, Europa lehnt sie ab.«
Richard schaltete zufrieden.
»Die Entscheidung darüber, welcher Gerichtsbarkeit der Beschuldigte unterworfen wird, hängt außerdem da von ab, wer er ist. Für einen Wissenschaftler würde Heimatrecht gelten, wäre der Verdächtige ein Astroto u rist, gilt das Recht der Nation, die ihn transportiert hat. Bei der Betriebsbesatzung verhält es sich wieder anders. Ein amerikanischer Offizier unterstünde dem Militä r recht, ein europäischer Pilot dagegen kann auch Zivilist sein. Derzeit haben wir nicht mehr als das IGA, das Inte r gou vernmental Agreement. Das beschäftigt sich alle r dings mehr mit Nutzungsrechten und dem Schutz geist i gen Eigentums. Der Entwurf eines extraterrestrischen Zivil- und Strafrechts liegt derzeit bei der UNO im Rechtsausschuss des ständigen Ausschusses für die frie d liche Nu t zung des Weltraums, COPUOS. Der tagt einmal im Jahr. Für Völkerrechtsverstöße im Rahmen krieger i scher Aggressionen wäre er wiederum
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