Lehmann, Christine
nicht z u ständig. Und sollte die UNO eines Tages ein umfassendes Gese t zeswerk b e schließen, wird es noch jahrelang durch die nationalen Parlamente kreisen. Die USA werden es w o möglich niemals ratifizieren, und Polen bestand die let z ten Jahre darauf, dass polnische Staatsbü r ger nur von polnischen Richtern abgeurteilt werden.«
»Mit anderen Worten, es ist überhaupt zu groß für die Menschheit.«
Richard lächelte grimmig.
»Aber Mord ist trotzdem verboten«, bemerkte ich.
»Nur müsste man halt auch nachweisen, dass es sich bei Torsten Veiths Tod um ein Gewaltverbrechen ha n delt!«
»Tja, zur Not muss ich halt auf den Mond!«
»Aber sicher doch, Lisa, kein Problem!«
Am Neckartor bog Richard in die Neckarstraße ab. Wir rollten durchs Spalier von Schwabengarage, Spa r bäck und Sparda Bank zum Stöckach.
Ähnlich wie die Mondstation Artemis wurde die N e ckar straße ständig erweitert und umgebaut. Zwischen dem Bunker der Staatsanwaltschaft und alten Wohnhä u sern aus gelben Ziegeln stieg die Stadtbahn aus dem Tunnel und Hochbahnsteige sprengten die Fahrbahnen ausei n an der. Seit Jahren wurde, weil nichts wirklich passte, Asphalt umgeschmolzen. Ein Fahrradweg wurde nach kurzem wieder ausradiert. Fußgängerüberwege wurden gelegt, die Straße verengt. Auf der Seite der Staatsa n waltschaft waren Glasbauten entstanden. Die Gebäude auf der anderen Seite wurden dagegen allmählich aufg e geben. Das soziale Prekariat zog auf engem Fußweg an den Schaufenstern von Handyhändlern, türk i schem Im- und Export, Schlüssel- und Schilderdienst, Biomarkt, Selbstbedienungsbäcker und Schnellfriseur entlang, ran n te auf Straßenbahnen, aß Döner.
»Na? Kommst du noch mit rauf?«
Drei Stockwerke waren ohne Berechnungen von Treibstoff und Gravitation durchaus zu bewältigen: Wie hätte ich ahnen können, dass es Richards letztes Mal sein würde?
Er legte seinen Autoschlüssel auf meinen zerratzten Kneipentisch und zog sich den Schlips mit dieser u n nachahmlichen Bewegung aggressiver Erleichterung aus dem Kragen, die ich gar nicht erst zu üben brauchte, denn ich würde sie nie hinkriegen. Er ging durch in die Küche, um die Kaffeemaschine zu füllen und, während sie sich rülpsend in Gang setzte, ans Fenster zu treten und über die Neckarstraße und die Leuchtinsel der Halt e stelle Stöckach hinweg zum Bunker der Staatsanwal t schaft zu blicken, die unter den Strahlern ihrer Anti terrorkampfbeleuchtung vom Tagwerk ausruhte. Hal b hohe orangefarbene Rollos an manchen Fenstern erinne r ten an einen Tag von südlicher Hitze und gaben dem G e bäude einen schlampigen Anstrich.
Mit dem Kaffeebecher in der einen Hand, die Lippen gespitzt, knibbelte der Staatsanwalt mit der anderen die Hemdknöpfe auf und zupfte das Hemd aus dem Hose n bund. Es war einer der seltenen Momente, in denen R i chard sich der Unordnung anvertraute. Das war eigen t lich seine Sache nicht. Doch seit dem Tod seines Vaters litt er stumm unter der Notwendigkeit, alles zu widerr u fen, woran er fünfzig Jahre lang geglaubt hatte. [1] Das machte ihn zögerlich und mich ungeduldig. Keinesfalls durfte ich ihm jetzt schon an den Arsch fassen.
»Ist noch was?«
»Sei vorsichtig, Lisa. Wenn du aus Torsten Veiths Tod einen Mord machst, dann schreckst du nicht nur ein paar Privatpersonen auf« – es klang bitter, denn er sprach aus schmerzlicher Erfahrung –, »sondern ein Dutzend Rüstungskonzerne.«
»Ist das ein Auftrag?« Ich staunte. »Ermittelst du etwa in …«
Richard zog mit gespielter Irritation die Brauen hoch. »Ich bin Wirtschaftsstaatsanwalt, Lisa! Ungeklärte To de s fälle sind nicht mein Beritt. Aufträge vergebe ich sowi e so keine. Ich meine nur, du solltest wissen, dass Gunter Maucher einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation u n seres Ministerpräsidenten angehören wird, die in einer Woche nach China aufbricht. Er möchte Hochdrucktec h niken für Fusionskraftwerke verkaufen. Die Leittechnik, also die Systemsteuerung, soll von TSE aus Marseille kommen, die auch für die Artemis die Leittechnik geli e fert hat. Es wäre schlecht, wenn die jetzt in Verruf geri e te. Torstens Unfall ist nämlich deshalb zu spät bemerkt worden – abgesehen davon, dass er alle Sicherheitsrich t linien umgangen hat –, weil die Leittechnik von TSE ve r sagt haben könnte. Gunter und Jockei sind deshalb de r zeit etwas nervös.«
»Mit anderen Worten, wir nehmen künftige Atomu n fälle in China in Kauf, damit TSE und SSF
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