Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Prolog
Rom, Anno Domini 161
A n toninus Pius, der römische Kaiser, war kein Schlächter. Pius war ein Gelehrter und Philosoph, der nicht als grausamer Tyrann in die Geschichte Roms eingehen wollte. Und doch watete er an diesem Tag bis zu den Knöcheln in Christenblut.
Im Leben waren die vier Brüder außergewöhnlich schöne junge Männer gewesen. Nun aber, nachdem sie grausame Qualen erlitten hatten, waren sie nur noch eine scheußliche Masse aus Blut und Fleisch. Übelkeit erfasste Pius beim Anblick der Leichen, doch er durfte vor den Bürgern der Stadt keine Schwäche zeigen.
Der Kaiser war meist duldsam gegenüber der lästigen Minderheit, die sich Christen nannte. Er fand es sogar anregend, mit den Gebildeten unter ihnen Gespräche zu führen. So seltsam ihr Glaube anmutete – ein Messias, der von den Toten auferstanden war und eines Tages wiederkehren würde –, schien er sich dennoch mit beunruhigender Schnelligkeit in Rom zu verbreiten. Manche römischen Adeligen waren offen zum Christentum übergetreten, und unter Pius’ Regentschaft wurde ihre Teilnahme an christlichen Riten geduldet. Die Sekte fand besonders unter Frauen von hoher Geburt Zuspruch, zumal die Zeremonien des Christentums Frauen nicht ausschlossen. Sie konnten in dieser fremdartigen neuen Glaubenswelt sogar Priesterinnen werden.
Die römischen Priester in den Tempeln des Jupiter und Saturn jedoch schäumten vor Wut, dass es den Christen erlaubt sein sollte, die römischen Götter zu entweihen, indem sie ihre lächerliche Vorstellung des einen und einzigen Gottes verbreiteten.Im Allgemeinen kümmerte Pius das Gejammere der Priester nicht, und das Leben in Rom verlief unter seiner Regentschaft relativ friedlich. Waren die Menschen im Römischen Reich aber durch Seuchen oder Naturkatastrophen gefährdet, gerieten die Christen in Todesgefahr, denn nur zu gerne gaben die römischen Priester und deren Anhänger den Christen die Schuld für alles Ungemach, das Rom befiel. Denn wer konnte daran zweifeln, dass der christliche Glaube an einen einzigen Gott die alten, wahren Götter Roms beleidigte, sodass deren Zorn auch staatstreue Bürger traf?
In seinen Debatten mit den Anhängern der neuen Religion hatte Pius festgestellt, dass es zwei Arten von Christen gab: Zum einen die verschrobenen Fanatiker, die geradezu versessen darauf waren, für ihren Glauben zu sterben; zum anderen die Barmherzigen – vernünftige, mitfühlende Menschen, die eher bestrebt waren, die Not der Armen und Kranken zu lindern, als zu predigen und neue Anhänger zu gewinnen.
Pius waren die Barmherzigen lieber, denn sie trugen Wertvolles zur Gemeinschaft bei und waren nützliche Bürger des Römischen Imperiums. Sie erzählten Geschichten über ihren Messias und seine besonderen Fähigkeiten als wundertätiger Heiler, und sie zitierten seine Worte über Nächstenliebe. Und voller Leidenschaft sprachen sie von der Kraft der Liebe und ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Es gab sogar einige Christen in Rom, die behaupteten, in direkter Linie von den Kindern des Messias abzustammen, die in Europa eine neue Heimat gefunden hatten.
Die Barmherzigen waren es auch, die sich für die Armen und Kranken einsetzten. Ihre unbestrittene Anführerin war die schöne Domina Petronella, eine römische Adelige mit flammend rotem Haar. Trotz ihres offen praktizierten christlichen Glaubens wurde sie vom römischen Volk als Tochter einer der ältesten Familien der Stadt geliebt. Ihren Reichtum setzte Petronella großzügig zum Wohl des Volkes ein und predigte Liebe und gegenseitiges Verständnis. Wären Petronella und ihre Barmherzigen die einzigenChristen Roms gewesen, wäre es vermutlich nie zu diesem furchtbaren Blutbad gekommen.
Die Fanatiker waren aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Im Gegensatz zu den Barmherzigen, die liebevoll von ihrem Messias sprachen, den sie als Meister einer spirituellen Lehre bezeichneten – dem sogenannten Weg der Liebe –, tönten die Fanatiker von dem einen wahren Gott, der alle anderen Götter zerschmettern und eines Tages über die Ungläubigen zu Gericht sitzen werde, um sie der ewigen Verdammnis zu übergeben. Die Römer waren erzürnt über diese düsteren Prophezeiungen, doch die Fanatiker gingen sogar noch weiter, indem sie behaupteten, das irdische Leben sei ohnehin bedeutungslos; nur das Leben nach dem Tod zähle. Für die römischen Priester war eine solche Weltsicht – die Missachtung der Gabe des Lebens, das doch die Götter
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